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Rundumschlag und Diffamierung: Patientenverfügungen als Einstieg in Tötungen

10. Nov 2008

Beitrag von KLAUS-PETER GÖRLITZER:

“Rechtliche Anerkennung von Patientenverfügungen wäre wichtiger Zwischenschritt

“Sterbehilfe” für Menschen, die gar nicht im Sterben liegen, soll legitim werden. Ermöglichen soll dies die rechtsverbindliche Anerkennung von Patientenverfügungen, für die Politiker, Ärzteschaft und Kirchen werben. “Tötung auf Verlangen” soll tabu bleiben vorerst.

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat eine Mission. Unermüdlich streitet die Organisation dafür, “aktive Sterbehilfe” nach niederländischem und belgischem Vorbild hierzulande straffrei zu stellen: Ärzte sollen Patienten töten dürfen, wenn der Betroffene dies wünscht. Vorsitzender des HVD ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel, und der hat seinen Bekanntheitsgrad vor Ostern erheblich gesteigert: Per Zeitungsinterview kündigte Stöckel an, er und einige Parlamentarier von SPD, Grünen und FDP planten eine Initiative für ein “Sterbehilfe-Gesetz”. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und sofort hagelte es Proteste: Politiker aller Fraktionen, Bundesärztekammer, Hospizstiftung, die großen Kirchen alle wiesen sie Stöckels Vorstoß entrüstet zurück. Womöglich haben sie seinen Antrag mit dem Titel “Autonomie am Lebensende” gar nicht gelesen. Jedenfalls taktiert der Politiker Stöckel anders als der HVD-Vorsitzende Stöckel: Im Bundestag fordert er keineswegs die Zulassung aktiver Sterbehilfe. Vielmehr verlangt Stöckel, was auch viele seiner Kritiker wollen: die rechtsverbindliche Anerkennung so genannter Patientenverfügungen.

Mit solchen Papieren erklären Menschen bei vollem Verstand, dass sie im Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit, etwa im Koma oder bei fortgeschrittener Demenz, durch Abbruch medizinischer Behandlung zu Tode gebracht werden wollen. Vorab verlangt werden zum Beispiel: das Stoppen von Beatmung, Flüssigkeitszufuhr oder Ernährung via Magensonde; Unterlassen von Dialyse, Bluttransfusionen und Antibiotika-Gaben. Stöckels Kalkül ist offensichtlich: Akzeptiert der Gesetzgeber erst einmal das Verhungernlassen bewusstloser Menschen auf Basis einer Patientenverfügung, wird er einwilligungsfähigen Kranken die Giftspritze auf Dauer nicht verweigern können. Dabei vernebelt der Begriff Sterbehilfe, dass sich die Betroffenen in der Regel überhaupt noch nicht im Sterbeprozess befinden.

Zwar ist der “Autonomie-Antrag” im Bundestag chancenlos. Doch das Bundesjustizministerium (BMJ) bereitet längst vor, was Stöckels HVD als Meilenstein auf dem Weg zur Freigabe aktiver Sterbehilfe erreichen will. Das BMJ hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, die Grundlage für eine Muster-Patientenverfügung zu schaffen; ihr Gutachten soll noch vor der Sommerpause vorliegen. Handlungsbedarf sieht das Ministerium, weil der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) im März 2003 Patientenverfügungen erstmals als verbindlich bewertet hat obwohl bislang kein deutsches Gesetz sie erwähnt. Kurswechsel der Ärzte Vorsitzender der Arbeitsgruppe, in der auch Vertreter von Ärzteschaft, Hospizbewegung, Kirchen und HVD mitwirken, ist der pensionierte BGH-Richter Klaus Kutzer. Der Strafrechtler plädiert seit Jahren für eine “Liberalisierung der Sterbehilfe”: 1997 schrieb er in der Zeitschrift für Rechtspolitik, in einer besonderen Ausnahmesituation könne auch die ärztliche Tötung auf Verlangen des Patienten “gerechtfertigt oder entschuldigt” sein. Zudem ist Kutzer Mitautor jener “Grundsätze zur Sterbebegleitung”, die einen fundamentalen Kurswechsel der Bundesärztekammer (BÄK) markiert haben. Mit dem 1998 veröffentlichten Papier, auf das auch der BGH verweist, billigten die Standesvertreter erstmals, dass Mediziner lebenserhaltende Maßnahmen bei Menschen unterlassen, die gar nicht im Sterben liegen; gleichzeitig bezeichnen die Grundsätze Patientenverfügungen als eine “wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes”. 1998 wurden noch viele Proteste laut. Den Ton der aktuellen Debatte um Sterbehilfe geben diejenigen an, die selbst bestimmte Behandlungsabbrüche befürworten. Zum Auftakt der “Woche für das Leben” der beiden großen christlichen Kirchen warb der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber dafür, die “Eigenverantwortung für die Gestaltung der letzten Lebenszeit” zu stärken, zum Beispiel durch Abfassen der “Christlichen Patientenverfügung”, die von evangelischer und katholischer Kirche gemeinsam angeboten wird. Mediziner mahnen.

Es gibt auch skeptische Stimmen. Die Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) meint, “die Rede vom selbst bestimmten Sterben” sei im Zusammenhang mit Patientenverfügungen reine Fiktion, da “das eigene Sterben und der Weg dorthin von niemanden von uns im Voraus zu berechnen” seien. Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe warnt davor, Sterbehilfe ins Gespräch zu bringen, während über Geldmangel im Gesundheitswesen und zunehmende Alterung der Gesellschaft geklagt wird. Mit welchem Druck Schwerkranke rechnen müssen, lässt eine 2001 publizierte Broschüre “Sterbebegleitung” erahnen, die vom Bundesgesundheitsministerium verantwortet wird. Unter der Überschrift “Perspektiven” liest man dort: “Angesichts hoher Krankenhausbehandlungskosten am Lebensende wird insbesondere bei hoch betagten Patienten zu entscheiden sein, ob diese Ressourcen nicht besser in eine gemeindenahe palliative Medizin investiert werden sollen.” Zu den Mahnern zählen auch einige Mediziner, etwa der Psychiatrieprofessor Klaus Dörner, der Internist Paolo Bavastro und der Neurochirurg Andreas Zieger, der eine Station zur frühen Rehabilitation für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte leitet. Im Deutschen Ärzteblatt schrieben sie, Vorausverfügungen seien eine Überforderung für Patienten weil diese “die Tragweite einer Befürwortung oder Ablehnung bestimmter Maßnahmen am Lebensende nicht übersehen können, geschweige denn die Umstände und harten medizinischen Fakten”.

Heute könnten 95 Prozent aller schweren Schmerzzustände so zufrieden stellend behandelt werden, dass die Betroffenen keineswegs “dahindämmern” müssten. Ein vorab erklärter Therapieverzicht missachte die Würde aller Beteiligten, kritisieren Dörner und Mitautoren: “Der verfügte Arzt wird zum Erfüllungsgehilfen eines Patientenwillens, der von der konkreten Lebenssituation der Begegnung zweier Menschen abstrahiert.”