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Ausblick auf das Jahr 2004

10. Nov 2008

Patientenautonomie am Lebensende erfordert eigenständiges Gesetz

Was haben wir vom neuen Jahr zu erwarten? In Frankreich und Großbritannien gibt es offizielle Überlegungen, bestehende restriktive Lebensschutzregelungen zu reformieren und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende mehr Geltung einzuräumen (wir werden darüber in den nächsten Ausgaben dieses Newsletters berichten). Dabei geht es nicht darum, dem niederländischen und belgischen Weg zu folgen, der die Tötung auf Verlangen unter geregelten Voraussetzungen ermöglicht. Erst recht in Deutschland ist eine ‘Freigabe der Euthanasie’ indiskutabel. Regelungsbedarf besteht vielmehr in einer eindeutigen Verankerung und Weiterentwicklung von Patientenrechten. Patientenrechte müssen endlich von unseren politischen Vertretern als das erkannt werden, was sie sind: elementare Bürger- und Menschenrechte, die eine eigenständige Behandlung verdienen. Der Versuch des BGH-Senats mit Beschluss vom 17.03.2003, dieses Problem in der Fortbildung des Betreuungsrechtes zu lösen, führt hingegen in eine Sackgasse.

Deutsche Stimme im Europarat

Die Entwicklung in Europa zeigt, dass einseitig auf Lebensschutz ausgerichtete Positionen erheblich an Terrain verloren haben zugunsten einer neuen Debatte, die das Selbstbestimmungsrecht auf humanes Sterben ins Zentrum rückt. In der Parlamentarischen Versammlung des Europarats wird 2004 über gesetzliche Bestimmungen zur Sterbehilfe in den Mitgliedsstaaten debattiert. Die FDP-Abgeordnete und frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger, dort Mitglied im Rechtsausschuss, wird in der FAZ zitiert mit den Worten: ‘Gerade angesichts der in Deutschland herrschenden Unsicherheit über die Wirksamkeit von Patientenverfügungen, wäre es gut, ein klares Signal auf europäischer Ebene zu haben.’

Neues Gesetz in Kraft getreten

Im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) ließ Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in einer Presseerklärung keinen Zweifel daran: ‘Die Rechte der Patienten werden gestärkt wie nie zuvor.’ Zeitgleich mit der in Kraft tretender Reform zum Jahresbeginn hat die Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel in Berlin ihr Amt als Beauftragte für die Belange der Patientinnen und Patienten angetreten. Dabei geht es insbesondere um deren Aufklärungs- und Informationsrechte und die Stärkung ihrer Souveränität als Verbraucher und Versicherte. Was jedoch fehlt, ist eine gesetzliche Regelung der Patientenautonomie am Lebensende. Diese muss auch strafrechtlich bedeutsame Aspekte einbeziehen.

Eckpunkte und konkrete Vorschläge

Im vergangenen Jahr sind dazu bereits drei konkrete Vorschläge bzw. Eckpunkte-Papiere für ein gesondertes Gesetz zur Patientenverfügung und Patientenautonomie am Lebensende formuliert worden: jeweils vom Humanistischen Verband Deutschlands, von einer Arbeitsgruppe der Akademie für Ethik in der Medizin und schließlich von einer weiteren unabhängigen Expertengruppe. Gefordert wird ein eindeutiges Recht auf Behandlungsverzicht bzw. -abbruch, unabhängig davon, ob der Patient dem Tode nahe ist oder nicht. Dieses Recht steht theoretisch bereits jetzt dem willensfähigen Patienten zu. Nach laufender BGH-Rechtsprechung handelt es sich bei einem medizinischen Eingriff gegen den erklärten Patientenwillen um eine Körperverletzung. Und auch für den Fall einer akut eingeschränkten Willensfähigkeit gilt nach gängiger Rechtsmeinung, dass es die verbindliche Möglichkeit einer Patientenverfügung gibt. Schließlich ist auf dem Wege der richterlichen Rechtsfortschreibung dargelegt, dass die Behandlung von Schmerzen Vorrang hat und dabei eine unbeabsichtigte, möglicherweise todesbeschleunigende Nebenwirkung ärztlicherseits in Kauf zu nehmen ist. Doch sind diese Patientenrechten und Möglichkeiten zur so genannten passiven und indirekten Sterbehilfe in keinem Gesetz auch nur dem Begriff nach erwähnt. Und was viel schlimmer ist: Ihnen stehen im Strafrecht ärztliche Garantenpflichten zum Lebensschutz gegenüber. Es bestehen teilweise widersprüchliche Rechtsnormen, die bei allen Beteiligten zu erheblicher Verunsicherung führen.

Garantenpflichten verhindern Sterben-Dürfen

Ein grundsätzliches Problem: Wenn die Garantenpflichten zum Lebensschutz missachtet werden, kann der Arzt sich der Tötung durch Unterlassung, des Totschlags oder der Tötung auf Verlangen schuldig machen. Dies verfehlt in der medizinisch-pflegerischen Praxis seine abschreckende Wirkung nicht. Umgekehrt besteht bei ärztlichen Eingriffen gegen den Patientenwillen wenngleich nach gängiger Rechtsmeinung eine rechtswidrige Körperverletzung keine Gefahr der Strafverfolgung. Selbst wenn jemand in diesem Zusammenhang einen Antrag auf Körperverletzung stellen würde, wird die Staatsanwalt regelmäßig gar nicht erst ermitteln. Begründung: kein öffentliches Interesse. Zur eigenen Absicherung werden sich in dieser Situation Ärzte, auch wenn sie selbst eine Weiterbehandlung nicht mehr für sinnvoll halten, vorsorglich an das Vormundschaftsgericht wenden. Denn dieses soll laut BGH-Urteil vom 17.03.2003 zukünftig die Entscheidung über die Genehmigung eines Behandlungsabbruchs im Betreuungsfall fällen. Auch verbesserte Verfahrensvorschriften können jedoch keinen Ersatz für ein Gesetz zur Regelung der Patientenautonomie am Lebensende darstellen. Vielmehr betrifft das Thema Patientenverfügung und Patientenselbstbestimmung vorrangig das Arzt-Patienten-Verhältnis unmittelbar selbst.

Fortgesetzte Körperverletzung keine Straftat?

Auch die zivilrechtliche Genehmigung eines Vormundschaftsgerichtes kann keinen Arzt zum Behandlungsabbruch zwingen, der dies verweigert -sei es, dass er befürchtet sich strafbar zu machen, sei es, dass er ethischen Bedenken geltend macht. Eine befriedigende Regelung kann deshalb weder der richterlichen Rechtsfortbildung noch dem Betreuungsrecht überlassen bleiben. Bisher gilt, wenn der Patient etwa jahrelang gegen seinen erklärten Willen zwangsernährt wird, die Devise: so schlimm kann es ja nicht gewesen sein. Außerdem handelt es sich beim Zuwiderhandeln gegen einen ausdrücklichen Sterbewunsch des Patienten quasi um medizinisches Gewohnheitsrecht. Das erinnert an die Situation geprügelter Frauen, die Ende der siebziger Jahre in den neu errichteten Frauenhäusern erstmalig Unterstützung fanden. Eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen einen Ehemann, der seine Frau 14 Jahre lang schwer misshandelt hatte, wurde von der Berliner Staatsanwaltschaft abgewiesen mit der Begründung: kein öffentliches Interesse. Dahinter stand die Devise: In die Beziehung zwischen Eheleuten soll und kann sich staatliche Gewalt nicht einmischen, hier handele es sich ja fast um so etwas wie Gewohnheitsrecht und schließlich habe die Frau sich die Misshandlung ja fortgesetzt gefallen lassen