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Gefährlicher Patientenwille fundamentalistische Kräfte schlagen zurück

10. Nov 2008

Gefährlicher Patientenwille fundamentalistische Kräfte einer ethischen Norm der Lebensverlängerung schlagen zurück

In Deutschland ist ein erbitterter Streit ausgebrochen um die Reichweite von Patientenverfügungen und der Notwendigkeit von Strafandrohungen für Ärzte, die dem Willen todkranker Patienten entsprechen. Als Hauptgegner in der politischen Debatte stehen sich gegenüber die vom Bundesjustizministerium (BMJ) eingesetzte Expertengruppe “Patientenautonomie am Lebensende” einerseits und die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquêtekommission “Recht und Ethik der modernen Medizin” andererseits. Nun haben sich zwei Mitglieder der Enquêtekommission, Michael Kauch (FDP) und Dr. Marlies Volkmer (SPD) ihrerseits von der dort vertretenden Mehrheitsmeinung distanziert und ihre eigenen Minderheits-Positionen öffentlich gemacht.

Bundesjustizministerin Zypries (SPD) stellt im Interview mit SPIEGEL ONLINE (vom 29. Juni 04) zu vorsorglich abgefassten Willenserklärungen des Patienten klar: ” Sie müssen ja auch einer Operation nicht zustimmen, selbst wenn der Arzt Ihnen sagt, dass diese Ihr Leben entscheidend verlängern würde. Man kann das Selbstbestimmungsrecht nicht so einschränken, dass man den Menschen nur eine Entscheidung gestattet, die medizinisch vernünftig ist dann ist es kein Selbstbestimmungsrecht mehr.”

Geplant ist noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf, der für mehr Rechtsicherheit sorgen soll: im Bereich der Patientenverfügungen und eventuell darüber hinaus auch der zulässigen Sterbehilfe. Dies hatte die von Zypries berufene AG “Patientenautonomie am Lebensende” in ihrem Endbericht vom 10.06.2004 der Ministerin vorgeschlagen. Zypries gab für ihr Ministerium bekannt: “Wir verfolgen dabei dieselbe Absicht, nämlich den Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen und generell ihre Autonomie in der letzten Lebensphase zu stärken. Der Vorschlag zielt letztlich auf Rechtssicherheit, weil offenbar auch viele Ärzte nicht wissen, was heute schon möglich ist.”

Dies dürfte von einer überwältigen Bevölkerungsmehrheit und wohl auch den meisten Ärzten begrüßt werden. Einige sprachgewaltige Vertreter der politischen Klasse und der Hospizbewegung sehen hierin jedoch den Einstieg in eine legalisierte Tötung auf Verlangen. Die Rede ist gar von einem geplanten “Euthanasie-Gesetz”, so Prof. Dr. Christoph Student, führender Hospizvertreter (Quelle s. o.)

Die Schärfe der Auseinandersetzung hat deutlich zugenommen. Längst reicht es Hütern der Lebensverlängerungs-Norm nicht mehr, dass die von ihnen Kritisierten sich gegen eine “Niederländische Lösung” der aktiven Sterbehilfe aussprechen. Gefordert wird eine noch striktere Abgrenzung auch gegen heute schon zulässige Formen des Behandlungsverzichtes, der im Ausnahmefall in Kauf genommenen lebensverkürzenden Nebenwirkung einer Schmerzlinderung und der Suizidbegleitung. Innerhalb der Hospizbewegung wird inzwischen Druck auch auf anerkannte Hospizdienste ausgeübt, die sich im Sinne der Expertengruppe “Patientenautonomie am Lebensende” des BMJ für eine gesetzliche Klarstellung aussprechen. Zur Zeit läuft in der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz e. V. ein diesbezügliches Ausschlussverfahren gegen einen ambulanten Hospizdienst in Trägerschaft des Humanistischen Verbandes (Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband). Zur Begründung wird angeführt, der Träger würde sich auch für die Absehung von Strafe aussprechen, wenn ein Arzt den Selbsttötungsversuch seines schwerstleidenden Patienten nicht hindere.

Zur Wahrung einer bestimmten, traditionellen Ethikposition, nämlich der allgemeinen Lebensschutz-Norm, möchten deren Vertreter/innen also wieder vermehrt auf Strafandrohungen zurückgreifen.

Der Stein des Anstoßes, die von der Zypries-Expertengruppe vorgeschlagene Ergänzung des Strafrechtsparagraphen 216 (Tötung auf Verlangen) lautet im Wortlaut wie folgt:

“Nicht strafbar ist:

1.) Die Anwendung einer medizinisch angezeigten Leid mindernden Maßnahme, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzt,

2.) Das Unterlassen oder Beenden einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme,

wenn dies dem Willen des Patienten entspricht.”

Ebendiese ausdrückliche Straffreiheit der “passiven” und “indirekten” Sterbehilfe gemäß dem Patientenwillen(!) sei gefährlich, so Enquêtekommissionsmitglied und Grünen-Abgeordnete Christa Nickels. Wenn man indirekte Sterbehilfe etwa über möglicherweise todbringende Schmerzlinderung ermögliche, könne dies einen Trend zur Tötung von dementen Menschen und Wachkoma-Patienten begünstigen, die gar nicht im Sterben lägen, gibt DER TAGESSPIEGEL Nickels wieder.

Bemerkenswert ist, dass die Zypries-AG “Patientenautonomie am Lebensende” mit Experten und Praktikern (darunter Vertreter/innen der Kirchen, der Ärzteschaft, der Hospizbewegung, der Wohlfahrtsverbände, der Patienten und Verbraucher) besetzt war, die sich gemeinsam um eine vernünftige Konsenslösung bemühten. Im Gegensatz dazu besteht die Enquêtekommission des Bundestages teilweise aus fundamentalistischen Politikvertreter/innen einer Lebensverlängerungs-Norm, die wenig von Praxisberührung, dafür stark vom Willen zur ideologischen Auseinandersetzung gekennzeichnet sind. Die Enquêtekommission des Bundestages will auch die Bedeutung von Patientenverfügungen wieder zurückstufen. Das melden DER TAGESSPIEGEL (vom 29. Juni 2004) sowie DIE TAGESPOST (vom 1. Juli 2004). Die Mehrheit der Enquêtekommissions-Mitglieder würde sich dafür stark machen, die Reichweite von Patientenverfügungen eher zu beschränken als auszuweiten, gibt “Der Tagesspiegel” den Vorsitzenden der Enquêtekommission, Rene Röspel (SPD), wieder.

Unterdessen hat Michael Kauch, FDP-Parlamentarier und selbst Mitglied der Enquête-Kommission, diese öffentlich kritisiert. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder wolle “Patienten möglichen Zwangsbehandlungen ausliefern”, zitiert DIE TAGESPOST den Politiker. Es hätten sich “wieder einmal fundamentalistische und paternalistische Kräfte” in der Kommission durchgesetzt, so Kauch. Der HUMANISTISCHE VERBAND DEUTSCHLANDS warnt in einer Presseerklärung vor der Gefahr wieder zunehmender Lebensverlängerung und künstlicher Ernährung gegen den erklärten Patientenwillen (unter: www.humanismus.de), die Ideologen der absoluten Sterbehilfe-Gegnerschaft würden “zurückschlagen”.

Auch Enquêtekommissionsmitglied Dr. Marlies Volkmer (SPD), selbst Ärztin, sieht die Bemühungen der Mehrheit ihrer Kollegen kritisch. In einem Interview mit der TAGESZEITUNG (TAZ vom 28. Juni 2004) erklärte sie: “Ich gehöre eher zu denen, die die Patientenverfügung nicht so eng sehen wollen.” Sie regte an, “die Unterstützung zur Selbsttötung zuzulassen, wie es in der Schweiz möglich ist.” Der Schritt, das Leben zu beenden, sei so gravierend, dass man den Patienten davon nicht entbinden könne. “Er muss diesen letzten Schritt bewusst tun”, so Volkmer.


Quelle: Tagesspiegel vom 29.06.

“Experten als Bremser

Kommission sieht Patientenverfügungen skeptisch

Berlin Der Justizministerin wird der Bericht weniger gefallen. Erst vor zwei Wochen hat Brigitte Zypries (SPD) eine Stärkung der Selbstbestimmungsrechte todkranker Menschen angekündigt und sogar Formulierungshilfen für Patientenverfügungen in Aussicht gestellt. Die Bundestags-Enquêtekommission “Ethik und Recht der modernen Medizin” spielt da eher den Bremser. Man komme zu anderen Ergebnissen als die Arbeitsgruppe des Bundesjustizministeriums, fasste der Vorsitzende der Enquêtekommission, René Röspel (SPD), die Bedenken der Experten schon vor der Veröffentlichung des Kommissionsberichtes zusammen. Und kündigte an, dass sich die Mehrheit der Mitglieder dafür stark machen werde, die Reichweite von Patientenverfügungen eher zu beschränken als auszuweiten.

Am Montag rang die Kommission noch um die richtigen Formulierungen. Mehr als an der Vorgabe, dass Patientenverfügungen rechtlich bindend sein sollten, hatten sich die Mitglieder an einer weiter gehenden Forderung der Zypries-Arbeitsgruppe gestoßen: Passive und indirekte Sterbehilfe müssten ausdrücklich straffrei gestellt werden, hieß es in deren Bericht. Für Kommissionsmitglieder wie Christa Nickels eine gefährliche Weiterung. Wenn man indirekte Sterbehilfe etwa über möglicherweise todbringende Schmerzlinderung ermögliche, könne dies einen “Trend” zur Tötung von dementen Menschen und Wachkoma-Patienten begünstigen, die gar nicht im Sterben lägen, sagte die Grünen-Abgeordnete dem Tagesspiegel.

Zur passiven Sterbehilfe will sich die Kommission bislang nicht äußern. Allerdings sei die Mehrheit dafür, das Verbot aktiver Sterbehilfe beizubehalten, so Röspel. In der vorigen Woche waren sechs Mitglieder in die Niederlande gereist, um sich über das dortige Sterbehilfegesetz zu informieren. Ihr einhelliger Eindruck laut CDU-Obmann Thomas Rachel: Die liberale Regelung verletze “fundamental” die Menschenwürde.” (Von Rainer Woratschka)