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Sterbehilfe in den Niederlanden: Strengere Kontrollen vorgesehen

10. Nov 2008

Interview aus TAZ vom 28.06., S. 7 (von Anna Lehmann) “Der Patient muss selbst entscheiden

Heute präsentiert die Kommission “Ethik in der Medizin” ihren Bericht zur Selbstbestimmung todkranker Menschen. Marlies Volkmer (SPD) berichtet über die Eindrücke der Abgeordneten auf einer Informationsreise in die Niederlande

taz: Euthanasie auf eigenen Wunsch ist in den Niederlanden seit 2001 erlaubt. Nach einer Studie der niederländischen Regierung soll diese Legalisierung dazu geführt haben, dass rechtswidrig getötet und gemordet wird. Haben Sie diesen Eindruck auch?

Marlies Volkmer: Nein. In den Niederlanden wird verantwortlich im Rahmen des Gesetzes vorgegangen. Aber von Sterbehilfe wird dabei nur gesprochen, wenn ein Arzt lebensbeendende Handlungen auf Verlangen eines Patienten vornimmt. Voraussetzung ist, dass es sich um aussichtslose Fälle oder unerträgliches Leiden handelt.

Wie läuft das ab?

Das ist eine individuelle Entscheidung zwischen dem Patienten, der um Sterbehilfe ersucht, und seinem Hausarzt. Auf jeden Fall muss der Hausarzt einen zweiten Arzt zu Rate ziehen, der nicht mit dem Fall befasst ist.

Wo sehen Sie Risiken für Fehlentscheidungen?

Ich stelle mir die Frage, ob das der Hausarzt allein entscheiden kann. Und ob nicht der zweite Arzt besonders qualifiziert sein müsste.

In Deutschland will das Bundesjustizministerium dem Willen des Patienten mehr Geltung verschaffen. Die Enquêtekommission legt heute ihren Zwischenbericht dazu vor. Wie wird das Problem “Tod auf Bestellung” darin gesehen?

Hier geht es nicht um Tod auf Bestellung. Es um den schriftlich fixierten Willen des Patienten, lebensverlängernde Behandlungen zu beenden. Diskussionen gibt es über die Art und Weise, diesen Willen umzusetzen. Die Mehrheit ist für eine nicht sehr weit reichende Verfügung. Im Falle unheilbarer Krankheiten, wenn der Tod in absehbarer Zeit eintritt, könnte auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden. Ich gehöre eher zu denen, die die Patientenverfügung nicht so eng sehen wollen. Der Patient muss verfügen können, dass die Geräte nach einer bestimmten Zeit abgeschaltet werden, wenn er im Wachkoma liegt.

Macht es eine solche Regelung zu leicht, sich kranker Menschen legal zu entledigen besonders, wenn die Behandlung sehr teuer ist?

Das müsste über die Patientenverfügung gehen.

Und wenn keine vorliegt?

Dann gibt es noch die Vorsorgevollmacht. Man kann jemanden einsetzen, der nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet. Eine Ökonomisierung hat bei Fragen von Leben und Tod überhaupt nichts zu suchen.

Aber die Gefahr besteht?

Ich glaube nicht, dass diese Frage in den Niederlanden unter solchen Gesichtspunkten gesehen wird. Da geht es um die Autonomie des Menschen.

In der Studie der niederländischen Regierung heißt es, in 38 Prozent der Fälle seien die Patienten getötet worden, weil die Angehörigen ihren Zustand nicht mehr ertragen konnten.

Ich kenne eine solche Studie nicht. Diese Zahl scheint mir viel zu hoch zu sein.

Warum?

Wir haben mit Patientenvertretern gesprochen, mit der Ärztekammer, mit Ethikern und mit der Kontrollkommission, der jeder Fall von aktiver Sterbehilfe gemeldet wird. Wir haben auch Hospize besucht. Ich denke, dass die übergroße Mehrheit der Ärzte verantwortungsvoll mit dem gesetzlichen Spielraum umgeht.

Denken Sie, dass das niederländische Modell in Deutschland funktionieren würde?

Nein. In den Niederlanden ist Sterbehilfe seit 30 Jahren ein Thema. 85 Prozent der Einwohner befürworten Euthanasie unter bestimmten Voraussetzungen. In Deutschland wurde lange Zeit über das Thema Sterbehilfe überhaupt nicht gesprochen. Ich denke, wir müssen Schmerzmittelmedizin und Hospizdienst stärken. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir mit den etwa 5 Prozent der Patienten umgehen, bei denen es trotz aller Schmerzmittel nicht gelingt, Leiden zu lindern.

In diesen Fällen würden Sie dafür plädieren, den Patienten auf Wunsch zu töten?

So nicht! Ein Schritt in diese Richtung wäre, die Unterstützung zur Selbsttötung zu zulassen, wie es in der Schweiz möglich ist. Denn der Schritt, das Leben zu beenden, ist so gravierend, dass man den Patienten davon nicht entbinden kann. Er muss diesen letzten Schritt bewusst tun.


Genau derselbe Besuch wird von dem CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel ganz anders bewertet:

Holland in Not: Rachel kritisiert alarmierende Euthanasie-Praxis in den Niederlanden

Berlin (ALfA). Thomas Rachel, Sprecher der Unionsfraktion in der Enquête-Kommission “Ethik und Recht der modernen Medizin”, hat die Sterbehilfe-Praxis in den Niederlanden scharf kritisiert. In einem Interview mit der Tageszeitung “Die Welt” (Ausgabe vom 24. Juni 2004) erklärte er: “Die Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden praktiziert wir, verletzt die Menschenwürde fundamental.” Rachel, der als Delegationsleiter mit einer Abordnung der Enquête-Kommission das Nachbarland besucht und dort mit zahlreichen Ärzten Patientenvereinigungen und Politikern gesprochen hat, unterstrich, er sei mit einem “flauen Gefühl” zurückgekehrt. Gemeldet würden jährlich rund 1.800 Fälle von Sterbehilfe. “Man weiß aber aus Umfragen, dass rund 3.000 Lebensbeendigungen nach Euthanasiegesetz durchgeführt werden”, so Rachel. “Erstaunlicherweise werden keine Sanktionsmöglichkeiten bei nicht erfolgter Meldung erwogen.” Rachel betonte, dass die niederländische Sterbehilferegelung “auf keinen Fall Modell für Deutschland sein kann.”

Als besonders “alarmierend” bezeichnete es Rachel gegenüber der “Welt”, dass jährlich 1.000 Patienten getötet würden, “ohne dass überhaupt ein Ersuchen oder Einverständnis des Patienten vorliegt.” Eigentlich sollte das Euthanasiegesetz die Selbstbestimmung sicherstellen. “Faktisch geht es aber darum, dass Dritte eine Entscheidung fällen, welcher Zustand jetzt noch als lebenswert oder als menschenwürdig angesehen wird”, so Rachel. Zwar ist laut dem CDU-Politiker eine Tötung ohne Einwilligung im Gesetz nicht vorgesehen, wird aber von Politik und Gesellschaft stillschweigend akzeptiert. Eine nennenswerte Strafverfolgung gebe es nicht. “Das ist eine gravierende Werteverschiebung.”

Mehr dazu: http://www.welt.de

Quelle: ALfA-Newsletter vom 25.06.2004


PS: An der Reise der Enquête-Kommission in die Niederlande haben die > Mitglieder Thomas Rachel, Dr. Marlies Volkmer, Barbara Lanzinger, > Michael Kauch, Dr. Martin Mayer und Rainer Beckmann teilgenommen. > Die Enquête-Kommission ist durch den Deutschen Bundestag eingesetzt und > bemüht, zu diskutierten Themen unterschiedliche Stellungnahme > einzuholen. Berichtstexte und Empfehlungen werden nach Abstimmung oder > im Konsens beschlossen. Letztlich aber entscheidet der Bundestag, also > dessen gewählte Mitglieder über Gesetzesinitiativen oder -veränderungen.

> Mit freundlichen Grüßen

> René Röspel


Niederlande: Sterbehilfe mit strengeren Kontrollen

Bei Regelverstößen Disziplinarmaßnahmen und Berufsverbote

Quelle: DER STANDARD vom 09.07.2004

“Den Haag Die niederländische Gesundheits-Staatssekretärin Clemence Ross will Ärzte, die Sterbehilfe praktizieren, strenger kontrollieren.

Strittige Fälle

Geplant sei, dass die Gesundheitsbehörden bei Regelverstößen Disziplinarmaßnahmen verhängen, wie Kathpress meldet. Dies war einem Schreiben der Staatssekretärin an das niederländische Parlament, das am Donnerstag bekannt wurde, zu entnehmen. Die derzeitige Regelung sieht vor, dass die Staatsanwaltschaft strittige Fälle überprüft, doch wurde bisher in keinem Fall Anklage erhoben.

Berufsverbote

Die Gesundheits-Staatssekretärin strebt an, dass die Gesundheitsbehörden bei Regelverstößen Rügen oder zeitweilige Berufsverbote verhängen. Dies geschehe derzeit aus Personalmangel praktisch nie. Ross plant weitere Maßnahmen, damit die Regeln für die Straffreiheit aktiver Sterbehilfe genau eingehalten werden. Dazu gehöre, die Ergebnisse der Prüfungskommissionen in anonymisierter Form zu veröffentlichen.

Unklare Statistik

Auch will sie untersuchen lassen, warum die Zahl der gemeldeten Fälle von Sterbehilfe seit mehreren Jahren rückläufig ist, wo sie doch laut einer von ihr beauftragten Studie tatsächlich doppelt so hoch seien.

Sterbehilfe seit April 2002 erlaubt

Sterbehilfe ist in den Niederlanden seit April 2002 unter Auflagen erlaubt: wenn ein Patient unerträglich leidet, aussichtslos krank ist und mehrfach ausdrücklich darum gebeten hat. Von einem zweiten Arzt muss eine übereinstimmende Entscheidung vorliegen. Die Staatsanwaltschaft wird nur bei Zweifeln an der ärztlichen Entscheidung angerufen. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Arzt gegen die Regeln verstoßen hat, drohen ihm bis zu zwölf Jahre Haft. (APA)”


Quelle: epd vom 08.07.2004:

“Alzheimer kein anerkannter Grund für Sterbehilfe in den Niederlanden

Den Haag (epd). Alzheimer oder Altersdemenz wird in den Niederlanden auch künftig nicht als Grund für die Rechtmäßigkeit aktiver Sterbehilfe anerkannt. Durch hinzu kommende Krankheiten könne es aber sein, dass ein Patient unerträglich leide, erklärte die niederländische Regierung in einem am Donnerstag in Den Haag veröffentlichten Brief an das Parlament. Aktive Sterbehilfe sei aber nur dann straffrei, wenn der Patient dies ausdrücklich wünsche, so die Regierung. Bei dementen Menschen, die dazu nicht mehr in der Lage seien, könne in Ausnahmefällen eine schriftliche Patientenverfügung anerkannt werden. Bisher sind drei Fälle bekannt geworden, in denen Ärzte bei Alzheimer-Patienten aktive Sterbehilfe geleistet hatten. Sie wurden dafür strafrechtlich nicht verfolgt.

In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen nicht strafbar. So muss ein Patient aussichtslos krank sein, unerträglich leiden und selbst freiwillig und ausdrücklich darum gebeten haben. Ein Arzt muss einen zweiten Arzt zu Rate ziehen und jeden Fall melden.

Die Regierung betont, dass eine schriftliche Patientenverfügung als Einverständnis zur Sterbehilfe anerkannt werde. Der aktuelle Wunsch des Patienten wiege aber schwerer. Erst wenn Patienten etwa im fortgeschrittenen Stadium ihrer Krankheit nicht mehr zurechnungsfähig seien, könne die schriftliche Verfügung als Grundlage der Entscheidung genommen werden. “Dies ist eine der schwierigsten medizinischen Entscheidungen”, so die Regierung.

In den Niederlanden wurden im vergangenen Jahr 1.815 Fälle von aktiver Sterbehilfe gemeldet. In acht Fällen hatten Ärzte den Angaben zufolge nicht sorgfältig gehandelt. Die Zahl der Meldungen hatte im Vergleich zum Vorjahr abgenommen. Eine Studie der Regierung hatte ergeben, dass nur etwa die Hälfte der Fälle von aktiver Sterbehilfe gemeldet wird.