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Studie: “Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ist da”

10. Nov 2008

Quelle: Bonner General-Anzeiger vom 28.06.2005 (leicht gekürzte online-Version):

“Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ist da”

Felix Thiele von der Europäischen Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler plädiert dafür, aktive Sterbehilfe bei nicht zu lindernden und unerträglichen Leiden auch in Deutschland zu gestatten

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Nachdem die Niederlande und Belgien die aktive Sterbehilfe gesetzlich geregelt haben, mehren sich auch in Deutschland die Stimmen, die eine Legalisierung fordern. Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH hat eine Studie zu den medizinischen, juristischen und philosophischen Aspekten der Sterbehilfe herausgegeben. Mit dem Herausgeber Felix Thiele sprach Johannes Seiler.

GA: Wie hilfreich sind die Kategorien Tun oder Unterlassen?

Thiele: Die einfache Gleichsetzung von Unterlassen mit erlaubt und Tun mit verboten ist problematisch.

GA: Welche Gründe sprechen für ein Verbot der aktiven Sterbehilfe und welche dagegen?

Thiele: Häufig steht hinter einer Ablehnung der aktiven Sterbehilfe die Vorstellung, dass das Leben heilig ist, weil es uns von Gott gegeben wurde. Für viele Menschen, die nicht an Gott glauben, ist dieses Argument aber moralisch nicht bindend. Darüber hinaus wird auch die Missbrauchsgefahr gegen die aktive Sterbehilfe angeführt: Die Frage ist, ob man verhindern kann, dass aktive Sterbehilfe geleistet wird, weil eine weitere Behandlung oder Pflege zu teuer kommt.

GA: Wie könnte man das Problem lösen?

Thiele: Einigt man sich darauf, auch die aktive Sterbehilfe zuzulassen, dann sollte man die Folgen sorgfältig empirisch untersuchen, so wie zum Beispiel in den Niederlanden die dortige Praxis der aktiven Sterbehilfe kontinuierlich evaluiert wird.

GA: Können wir Lehren für Deutschland daraus ziehen?

Thiele: Die Niederländer haben vorgemacht, dass man die aktive Sterbehilfe legalisieren kann, ohne dass es zu massenhaftem Missbrauch kommt. Trotzdem muss man sehen, dass die Tauglichkeit der niederländischen Regelung nicht unumstritten ist.

GA: Die Debatte in Deutschland ist auch geprägt von den Erfahrungen mit der Euthanasie im Dritten Reich. Erscheint vor diesem Hintergrund die Diskussion um die aktive Sterbehilfe nicht hinfällig?

Thiele: Natürlich darf man unsere Geschichte als vorsichtgebietende Erinnerung nicht außer Acht lassen. Die Frage ist aber, ob eine geschichtliche Erfahrung dazu berechtigt, die Diskussion über aktive Sterbehilfe vollkommen zu unterbinden. Wir leben heute in einer demokratischen Gesellschaft und reden ausdrücklich über freiwillige aktive Sterbehilfe. Die Euthanasieprogramme waren dagegen unfreiwillige Tötungen

GA: Welche Ziele verfolgt die Studie, für die Sie als Herausgeber stehen?

Thiele: Ziel ist es, eine Diskussion zu führen, die von weltanschaulichen Vorfestlegungen frei ist. Zudem sollte die Debatte nicht von vornherein auf die passive Sterbehilfe beschränkt werden.

GA: Verstehen Sie die Studie als Vorstoß für aktive Sterbehilfe?

Thiele: Persönlich bin ich der Auffassung, dass auch in Deutschland in bestimmten Ausnahmefällen bei nicht zu lindernden und als unerträglich empfundenen Leiden aktive Sterbehilfe zugelassen werden soll. Es kann ein Ausdruck von Respekt für das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen sein, ihm nicht jedes Leid zuzumuten. Allerdings teilen nicht alle Autoren der Studie diese Meinung.

GA: Ärzteverbände argumentieren, dass sich Patienten bei ihren Ärzten frei von jedem Verdacht fühlen müssen, dass sie vorzeitig aus dem Leben scheiden

Thiele: Das Argument ist nicht einsichtig, denn es geht um die Fälle, in denen Patienten freiwillig und ausdrücklich nicht länger am Leben bleiben wollen. Besser eine klare, nachvollziehbare Regelung mit dem Arzt im Mittelpunkt, als dass ein obskurer Verein oder eine Privatperson im rechtlichen Halbdunkel Sterbehilfe leistet.

GA: Wie ließe sich ausschließen, dass Betroffene ihre Entscheidung nicht selbstständig getroffen haben, sondern beeinflusst wurden?

Thiele: Missbrauch lässt sich niemals ganz ausschließen außer man verbietet die Sterbehilfe von vornherein. Durch entsprechende Kontrollen sollte sich der Missbrauch aber minimieren lassen.

GA: Bräuchten wir die Sterbehilfedebatte überhaupt noch, wenn wir verstärkt auf Schmerzlinderung und Sterbebegleitung (Palliativmedizin) setzen würden?

Thiele: Wir brauchen die Debatte, weil sich ein Mensch vielleicht entscheidet, die Prozesse der Schmerzlinderung und Sterbebegleitung nicht durchlaufen zu wollen. Aber wir brauchen zusätzlich die Palliativmedizin, die in Deutschland noch unterentwickelt ist.

GA: Wohin könnte die Debatte münden, wenn man das Buch als Anstoß versteht?

Thiele: Ich wünsche mir, dass offen darüber diskutiert wird, die aktive Sterbehilfe in bestimmten Ausnahmefällen zu erlauben. Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ist da. Ärzte, die sich daran beteiligen machen sich aber strafbar. Dies ist ein auf Dauer unhaltbarer Zustand, der zum Wohle der Beteiligten verändert werde sollte.

(28.06.2005) Kontakt: Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler