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Totengedenkkultur – Allerseelen und Halloween

24. Mrz 2009

Zu Allerheiligen am 1. November richten Angehörige von Verstorbenen deren
Gräber, in den Wochen darauf wird der Totensonntag und der Volkstrauertag
begangen. Doch die Bestattungs- und Friedhofskultur ist in Bewegung geraten. Der
Wandel besteht vor allem darin, dass „pflegeleichte" und einfache Gräber heute
gefragt sind. Noch entscheidender als finanzielle Aspe kte scheinen soziale
Veränderungen: Die junge Generation ist heute häufig nicht mehr am Ort präsent
oder die Elterngeneration will ihnen die Last der Grabpflege ersparen.

Vertreter der Bestatter berichten, dass die Auswahl der Grabstelle und
Bestattungsart bei zunehmender Vielfalt immer schwieriger wird. Verbliebene sind
oft verunsichert, wählen zunächst rational, die Emotionen werden erst später
bewusst. Trauer ist ein Prozess. Viele Menschen brauchen dazu auch einen festen
Platz, den sie aufsuchen möchten. Und Rituale, zu denen auch die Beschäftigung
mit dem Grab gehören.

Kulturverfall oder neue Chance?

Häufig und lautstark wird heutzutage der Verfall der abendländischen
Friedhofskultur beklagt. Manche dieser Befürchtungen – von Steinmetzen oder
Friedhofsgärtner – sind sicher dabei im Licht bestimmter Interessen zu sehen.
Aber auch Kirchenvertreter wenden sich teils vehement gegen die Aufweichung
traditioneller Bestattungsformen und dabei insbesondere gegen den Trend zur
Anonymisierung. Mancher wird sich erinnert fühlen an den klerikalen Kampf gegen
die Einführung der Feuerbestattung durch die Freidenker vor etwa 100 Jahren.
Aber haben die „Kulturkämpfer" nicht Recht? Oder ist es vergeblich, den
gesellschaftlichen Wandel aufhalten zu wollen – statt ihn human u nd kulturell
neu zu gestalten?

Überall werden Bedenken geäußert gegen allzu pragmatische Einstellungen zur
Bestattung, gegen das Verschwinden von Trauer, Moral, Religion. Ähnlich wie beim
Thema „Humanes Sterben" verkennen all jene, die eine Weltuntergangsstimmung
beschwören, dass Wandel und Individualisierung der menschlichen Gemeinschaft
auch neue Chancen verheißen. Wem nützt das Beharren auf Formen einer sogenannten
„würdigen", oft aber konfektionierten Bestattung in eintönigen Trauerhallen, wem
das Beharren auf starren Abgrenzungen, Regelungen und Nutzungszeiten der
Friedhofsverwaltungen?

Moslems sorgen für Flexibilität

Vor allem die AIDS-Szene kann a ls Vorkämpfer für neue, bunte und wieder
selbst in die Hand genommene Umgangsformen mit dem Tod gelten (z. B. mit
"Totenmahl", Tanz und Gesang als Bestandteil der direkten Trauerfeier). Neben
dieser sehr kleinen Minderheit sind es die bei uns lebenden Menschen fremder
Kulturen, die für Veränderungen sorgen.

Vor allem die moslemische Bevölkerung türkischer Herkunft meldet immer
häufiger den Anspruch an, ihre eigenen Bräuche praktizieren zu können. Dazu
gehören Bestattung ohne Sarg, eigene rituelle Waschungen, besondere Grabstätten
– entgegen den rigorosen deutschen Vorschriften des Bestattungsrechtes. Heute
hat der größte Berliner Bestatter mit vielen Filialen eine muslimischen
Geschäftsführer. Inzwischen reagieren auch unsere Friedhofsverwaltungen immer
flexibler.

Allerheiligen und Hollows Even (Halloween)

Allerheiligen ist in ganz Deutschland Feiertag, gesetzlicher Feiertag mit
Arbeitsruhe aber nur in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rhein
land-Pfalz und im Saarland. Laute Musik- und Tanzveranstaltungen sind untersagt,
da „die Bevölkerung" ihrer Heiligen, Märtyrer und Verstorbenen gedenken würde.
Ta tsächlich sind es im engen Sinn die evangelischen und katholischen Christen.
Aber zu den Ursprüngen gehört in unseren Breiten der keltische Brauch, die bösen
Geister in der letzten Oktobernacht zu vertreiben. Im Zuge der Christianisierung
sollte dieses heidnische Fest ausgemerzt werden – so führte die katholische
Kirche stattdessen "Allerheiligen" ein.

In Irland bekam das Fest den Namen "All Hallows". Entsprechend heißt der
Vorabend "All Hallows Even(ing)". Erzählt wurde von einem Jack, der seine Seele
dem Teufel verkauft hatte, aber mit seiner Laterne aus einer alten Rübe
ausgestattetet wurde und ruhelos bis zum Jüngsten Gericht zwischen Himmel und
Hölle umherirrt. Hier mischen sich also wieder christliche mit heidnischen
Bräuchen, Halloween ist schließlich über die USA in säkularisiert er Form wieder
zurück nach Europa gekommen. Dass es in Amerika nicht so viele Rüben, sondern
mehr K&uum l;rbisse gibt und dass "Halloween" der Abend vor "Allerheiligen"
ist, weiß heute kaum jemand.

Katholisch, evangelisch, humanistisch – Traditionseinbußen?

Bei den Katholiken werden Kerzen entzündet, die bis zum darauffolgenden
Allerseelen-Tag leuchten, als Symbol für das "Ewige Licht". Bei einer Prozession
um die geschmückten Gräber, dem sogenannten "Umgang", erteilt der Priester allen
Heiligen den Segen. Die evangelischen Christen wollten ihrerseits dem
katholischen "Allerheiligen" ihr eigenes Fest entgegensetzen und nutzten den
Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther, um ihr "Reformationsfest" am
Tag vor "Allerheiligen" zu begehen. Zudem ist seit dem 19. Jahrhundert der
Totensonntag in der evangelischen Kirche in Deutschland ein Gedenktag für die in
den letzten 12 Monaten Verstorbenen.

Auch Vertr eter einer weltlichen Trauerkultur begehen an diesen Tagen im
November T otengedenken. Sprecher Humanistischer Verbände haben aus diesem
Anlass öffentlich bedauert, dass immer weniger Menschen in Deutschland eine
würdevolle Trauerfeier für ihre Verstorbenen gestalten und auf tröstende Worte
Wert legen würden.

Ganz gleich, ob jemand religiös oder konfessionsfrei gelebt hat oder wie sich
heidnische, christliche und humanistische Traditionen durchmischen: Unsere
Verstorbenen würdevoll zu verabschieden und ihnen zu gedenken gehört zu unseren
kulturellen Aufgaben und Pflichten.

Botschaft für die Lebenden

Sterben und Tod beinhalten wichtige Botschaften für die Lebenden, die es zu
entschlüsseln und zu nutzen gilt. Darauf verzichten heißt, auf einen Teil
unseres kulturellen Erbes, unserer religiösen Glaubenstraditionen oder unserer
gesellschaftlichen Humanität zu verzichten.

Allerdings: Traditionseinbußen sind nicht gleichbedeutend mit einer
Entsolidarisierung zwisc hen L ebenden und Toten, Gesunden und Sterbenden. In
einer neuen ganzheitlichen Sicht kann vielleicht sogar – entgegen Kälte,
Egoismus, Vereinsamung und Kommerzialisierung – das Gegenteil der Fall sein: Ein
von Mitgefühl und besonderer Anteilnahme geprägter Umgang.

Autorin:

Gita Neumann, Referentin im Humanistischen Verband Deutschlands