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Gröhes Alptraum: Anträge auf Suizidmittel bei seiner Behörde

12. Apr 2017

Signalwirkung der Leipziger Verwaltungsrichter

Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mehren sich die Anträge auf Erhalt von Mitteln zur Suizidhilfe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).  Gesundheitsminister Gröhe will den Richterspruch nicht hinnehmen und “staatliche Selbsttötungshilfe” verhindern. Das Leipziger Gericht hatte vor knapp sechs Wochen letztinstanzlich entschieden, dass der Staat in “extremen Ausnahmesituationen” Schwerkranken den Zugang zu suizidgeeigneten Mitteln nicht ohne Prüfung verwehren darf. Es verwies in seiner Presseerklärung auf das verfassungsmäßig begründete Persönlichkeitsrecht auch zum selbstbestimmten Lebensende durch Freitod.

Dieses wird in Deutschland derzeit nur von einer einzigen Partei verteidigt: Der FDP. Auszug aus dem Entwurf ihres Wahlprogramms im Absatz zur Palliativmedizin auf S. 45: “Der neue § 217 StGB muss wieder abgeschafft werden. Die Strafandrohung für die Beihilfe zur Selbsttötung eines Schwerkranken schafft eine erhebliche Grauzone für Palliativmediziner, beeinträchtigt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und verletzt das Selbstbestimmungrecht als Kern der Menschenwürde.”

Bereits ein dutzend Anträge eingegangen Gröhe will sich wehren

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Anfang März zur Abgabe tödlicher Medikamente seien inzwischen zwölf Anträge auf suizidgeeignete Mittel eingegangen, bestätigte die Behörde einen Bericht des Berliner Tagesspiegels.  In “extremen Einzelfällen” darf die Behörde Schwerkranken den Zugang zu tödlichen Medikamenten nicht einfach verwehren. Das hatte das Gericht in Leipzig entschieden.

Es ist bemerkenswert, in welcher Deutlichkeit Gesundheitsminister Hermann Gröhe das Bundesverwaltungsgericht getadelt hat. Er wolle alle Möglichkeiten nutzen, “den Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe zu verhindern.” In dem Fall, den Leipzig entschied, geht es um das Bundesinstitut für Arzneimittel (Bfarm), das heißt um eine nachgeordnete Behörde des Bundesgesundheitsministeriums. Eine Gröhe unterstehende Behörde müsste also den Richterspruch des Bundesverwaltungsgerichts umsetzen für den Minister ein Alptraum.

Denn es war ja Gröhe, der Anfang 2015 die Debatte zum Verbot der organisierten Suizidhilfe im Bundestag maßgeblich angestoßen hatte. Und sie endete für den Gesundheitsminister unerwartet erfolgreich mit einer neuen Bestimmung im Strafgesetzbuch, dem § 217, welcher seitdem die sog. “geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung” verbietet.

Aufwind für Verfassungsklagen von Ärzten gegen § 217 StGB

Die Befürworter des Verbots betonten damals inständig, dass es nur darum gehe, so genannten Sterbehilfevereinen das Handwerk zu legen, die als wiederkehrende Dienstleistung und nichts anders heißt geschäftsmäßig – ihren Mitgliedern Suizidhilfe leisten würden. Schon damals äußerten Verbotsgegner aus dem humanistischen Spektrum, dass auch in der Palliativmedizin, im Hospizbereich und in einer neutralen Suizidkonfliktberatung nunmehr die Strafbarkeit drohe. Es kann inzwischen als erwiesen gelten, dass die “Geschäftsmäßigkeit” nicht so klar bestimmt ist, wie es verfassungsmäßig für ein Strafgesetz geboten ist. In diesem sensiblen Bereich ist jedenfalls nicht weniger, sondern mehr Rechtsunsicherheit geschaffen worden.

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock sagte zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, dadurch werde zumindest der Geist des § 217 StGB in Frage gestellt und juristisches Neuland betreten. Gegen das Gesetz zum Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe sind dreizehn Klagen beim Bundesverfassungsgericht anhängig, darunter von 9 Ärzten. Die Karlsruher Verfassungsrichter haben dazu Stellungnahmen von einschlägigen Organisationen eingeholt, so auch vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) und zwar sogar zweimal, im September 2016 und im Januar 2017. Der weltlich-konfessionsfrei ausgerichtete Verband hat in seinen beiden Stellungnahmen die Verfassungsklagen argumentativ unterstützt und setzt sich für eine komplette Rücknahme des § 217 StGB ein. Die Verfasserin der HVD-Stellungnahmen für das Bundesverfassungsgericht, Gita Neumann sieht sich durch das jüngste Leipziger Urteil bestätigt: Wir haben im Prinzip alle Akteure im Gesundheitsbereich gegen uns, von den Kirchen über die Politik bis leider auch hin zur Palliativmedizin. Der Beschluss des Leipziger Bundesverwaltungsgericht zeigt jedoch: Wir Konfessionsfreien sind keine weltanschaulichen Außenseiter, sondern stehen im Gegenteil eher fester auf dem Boden des Grundgesetzes als manch andere.

Nur die FDP will § 217 StGB wieder abschaffen

Für den Paragraphen 217 StGB stimmte im November 2015 eine klare Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Dazu zählten neben dem Großteil der CDU/CSU-Fraktion auch prominente Politiker von SPD und Grünen (Frank-Walter Steinmeier, Andrea Nahles, Thomas Oppermann, Sigmar Gabriel, Cem Özdemir, Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt). Es mag deshalb nicht verwundern, dass der Bundestag angekündigt hat, den von ihm mit großer Mehrheit verabschiedeten § 217 StGB in Karlsruhe in einer noch nachgereichten Stellungnahme verteidigen zu wollen. Zudem hat der Bundestag als seinen Prozessbevollmächtigten den Mitinitiator des § 217 StGB, Prof. Steffen Augsberg, vorgesehen.

Protest oder auch nur eine kritische Stimme aus einer im Bundestag vertretenen Partei dagegen gibt es nicht.

Dafür vertritt die FDP (Freie Demokraten) als Wahlkampfposition, den § 217 StGB, welcher eben auch die nicht-kommerzielle Suizidhilfe verbietet, wieder abzuschaffen: Das neue Gesetz, das die organisiert angebotene Suizidhilfe unter Strafe stellt, heißt es dort https://www.fdp.de/position/sterbehilfeschafft noch mehr Verunsicherung und droht beim Suizid assistierenden Ärzten mit Strafverfolgung. Wir Freie Demokraten treten für Selbstbestimmung in allen Lebenslagen ein. Das gilt auch für die persönliche Entscheidung, das eigene Leben zu beenden und dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daher wollen wir in dieser Frage Rechtssicherheit für Ärzte, Patienten und Angehörige. Die FDP betont in ihrem Wahkprogramm im Absatz “Der Patient im Mittelpunkt” in ihrem Wahlprogarmm auf S. 43: “Selbstbestimmte Entscheidungen sind nicht nur für die Sonnenseiten des Lebens. In Notfällen oder Krankheit ist die Möglichkeit, frei zu entscheiden, besonders wichtig. Wenig ist in Deutschland jedoch so durchreguliert wie unser Gesundheitssystem. Enge Vorgaben rücken den Menschen aus dem Mittelpunkt heraus. Ein Dickicht aus Vorschriften schränkt die eigene Entscheidung ein. Stellen wir die Menschen wieder in den Mittelpunkt!” (Aus Entwurf FDP-Wahlprogramm, S. 43)

Wird es bald erste Prüfungen in Deutschland geben?

Gröhes Befürchtung scheint zu sein, dass der Leipziger Richterbeschluss den Paragraphen 217 aushöhlt. Es dürfte ihm nicht so einfach gelingen, dessen Durchsetzung immerhin handelt es sich um das oberste Deutsche Verwaltungsgericht – in der ihm nachgeordneten Behörde zu verhindern. Aber schwerkranken Sterbewilligen wäre eher damit gedient, wenn der § 217 StGB durch Karlsruhe gekippt würde und sie sich an einen Arzt ihres Vertrauens wenden können, statt bei einer anonymen Bundesstelle einen Prüfantrag auf Erteilung eines todbringenden Mittels zu stellen. Dass dies nicht ganz einfach sein dürfte, ist unstrittig. Was ist ein selbstbestimmter Tod wert, der amtlich genehmigt werden muss? so lautet die hämische Polemik der strikten Verbotsbefürworter.

Diese weist Gita Neumann vom Humanistischen Verband zurück, wenngleich noch viele Frage offenblieben:

Bundesgesundheitsminister Gröhe und Ärztekammerpräsident Montgomery wollen uns weismachen, eine deutsche Behörde könne prinzipiell die anstehenden Prüfungen organisatorisch gar nicht leisten. Haben wir nicht auch in Deutschland Ethikerinnen, Rechtsmediziner und Palliativärzte wie etwa in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg? In diesen Ländern sind mit moderner Staatlichkeit doch jährlich tausende Prüfvorgänge der Rechtmäßigkeit nach erfolgter ärztlicher Sterbehilfe möglich. Und zwar durch Kontrollkommissionen sogar für die ärztliche Tötung auf Verlangen. Man könne und sollte, so die Position des HVD, in Deutschland einen anderen Weg gehen, nämlich den einer strengen Vorfeldprüfung, der sich – ähnlich wie in der Schweiz dann auch nur auf die Selbsttötung bezieht. Genau darum geht es im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes: Das dafür geeignete Mittel Natriumpentobarbital nicht unter allen Umständen in der Humanmedizin unter Verschluss zu halten.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte habe noch über keinen Fall entschieden, weil es die schriftliche Urteilsbegründung abwarten will, erklärte eine Sprecherin des BfArM. Derzeit könne aber noch nicht abgeschätzt werden, wann die Urteilsbegründung vorliegen wird, teilte wiederum das Leipziger Gericht mit. Im verhandelten Fall ging es um eine vom Hals abwärts gelähmte, unter zahlreichen Beschwerden leidende Frau aus Braunschweig, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine tödliche Dosis des Betäubungsmittels Natriumpentobarbibtal beantragt hatte. Das BfArM in Bonn, welches das Ansinnen abgelehnt hatte, hätte so die Leipziger Richter – zumindest prüfen müssen, ob ein anders nicht linderbarer Extremfall vorlag. Die Frau hatte sich schließlich in der Schweiz mit Unterstützung des Sterbehilfevereins DIGNITAS das Leben genommen.