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Kostendruck führt zu Übertherapie

14. Feb 2018

Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

 

Was herrscht im Krankenhaus vor: medizinischer Standard und Fürsorge oder ökonomischer Zwang? Eine empirische Studie bestätigt: Was zählt, ist der Umsatz – zu Lasten der Patient_innen, Ärzt_innen und Pflegenden. Doch wie lange hält das System diesem Missverhältnis noch Stand?

Dass Krankenhäuser zur Sicherung ihrer Existenz Gewinne erwirtschaften müssen, ist nicht neu. Leistungsorientierte Steuerungsformen und Managementkonzepte wurden eingeführt. Insbesondere für Pflegekräfte bedeutet dies Arbeitsverdichtung, also erhöhten Zeit- und Leistungsdruck. Die Mitarbeiter_innen teilen die verstärkte ökonomischen Zielvorgaben ihrer Krankenhäuser nur bedingt. Denn diese stehen häufig in Widerspruch zu ihren ethischen Vorstellungen und ihrem Selbstverständnis.

Zunehmend problematisch wird es, wenn für die Behandlung von Patient_innen einschließlich ihrer Aufnahme und Entlastung nicht mehr in erster Linie medizinische Gesichtspunkten ausschlaggebend sind. Doch wie lässt sich dies empirisch erforschen und belegen? Der Mediziner Prof. Dr. med. Karl-Heinz Wehkamp und der Ökonom Prof. Dr. Heinz Naegler, haben für ihre Ende 2017 fertiggestellte Studie Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung eine besondere Untersuchungsmethode angewandt: Sie befragten in qualitativen Interviews insgesamt 63 Ärzt_innen in Leitungsfunktionen sowie Geschäftsführer_innen deutscher Krankenhäuser.

Im Spiegel erläutert Prof. Wehkamp, welche Umstände vor allem von behandelnden Ärzt_innen dabei zu Tage gefördert wurden:

„Demnach werden Untersuchungen gemacht, die aus medizinischer Sicht nicht unbedingt notwendig sind. Vor allem die Gerätemedizin bringt den Kliniken oft Geld: Die Apparaturen für einen Herzkatheter zum Beispiel sind erst einmal eine hohe Investition, aus ökonomischer Sicht sollten sie dann auch ausgelastet sein. Nichttechnische Leistungen hingegen, die nur gering vergütet werden, werden eingeschränkt. Das heißt in der Praxis oft: Anamnesen, klinische Untersuchungen und Arzt-Patienten-Gespräche werden so kurz wie möglich gehalten. Wir haben von Ärzten sogar gehört, dass einige komplexe Eingriffe oft vermieden werden, weil die Aufklärungsgespräche dafür zu lange dauern.“

Matthias Thöns galt vielen als Nestbeschmutzer

Schon seit Jahren hat der Wittener Arzt Dr. Matthias Thöns das Ausmaß von sinnloser und von Patient_innen gar nicht mehr gewollter Übertherapie angeprangert, welche der Ökonomisierung geschuldet sei. Demgegenüber bestehe eine Unterversorgung bei der Pflege und bei den Maßnahmen, die für die Patient_innen wünschenswert sind, wie vor allem solchen der Palliativmedizin. Thöns beschreibt in seinem Buch Patient ohne Verfügung trostlose Situationen am Lebensende, die Leser_innen schockieren. Weil die Vergütung im Gesundheitssystem diese Überbehandlung belohne, seien immer mehr Schwerstkranke davon betroffen und würden im hilflosen Zustand überredet oder gar genötigt. Thöns empfielt, sich dagegen bei klarem Verstand frühzeitig mit konkret abgefassten Patientenverfügungen und Vollmachten zu schützen.

Mit einer nicht enden wollenden Fülle von Grausamkeiten verdeutlicht Thöns die Dimension des Problems. Aus der Ärzteschaft wurde er dafür als Netzbeschmutzer angegriffen. So wurde etwa der folgende Ankündigungstext des Verlags zu seinem Buch von den meisten seiner Kolleg_innen als maßlos übertrieben zurückgewiesen:

„In deutschen Kliniken wird operiert, katheterisiert, bestrahlt und beatmet, was die Gebührenordnung hergibt – bei 1.600 Euro Tagespauschale für stationäre Beatmung ein durchaus rentables Geschäft. […] Nicht Linderung von Leid und Schmerz, sondern finanzieller Profit steht im Fokus des Interesses vieler Ärzte und Kliniken, die honoriert werden, wenn sie möglichst viele und aufwendige Eingriffe durchführen. Thöns’ Appell lautet deshalb: Wir müssen in den Ausbau der Palliativmedizin investieren, anstatt das Leiden alter Menschen durch Übertherapie qualvoll zu verlängern.“

Studienergebnisse und zu verändernde Rahmenbedingungen

Nun sind Thöns Argumente nüchtern durch die neue Studie Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung von Wehkamp und Naegler bestätigt worden: Die Aussagen der Befragten weisen deutlich darauf hin, dass das betriebswirtschaftliche Management eine angemessene Patientenversorgung gefährdet und die Klinikärzt_innen sowie auch die Pflegenden stark belastet.

In den qualitativen Interviews räumten die Krankenhausmanager_innen ein, dass die Entscheidungen der behandlenden Ärzt_innen durch die erforderliche Gewinnorientierung indirekt beeinflusst werden. Die befragten Mediziner_innen in Leitungsfunktionen berichteten von dem wachsenden Druck, betriebswirtschaftliche Interessen bei patientenbezogenen Entscheidungen berücksichtigen zu müssen, was zu Unter-, Über- und Fehlversorgung der Patient_innen führe. Beklagt wurde zudem die Zunahme von ethischen Konflikten, Stresssituationen, Unzufriedenheit und Frustration.

Krankenhäusern sollten laut Wehkamp und Naegler für ihre eigene Zukunftssicherung nicht weiter wettbewerbsorientiert verhandeln müssen. Dazu sei zunächst das Eingeständnis wichtig, dass andere als die Interessen der Patient_innen im Fokus stehen. Das immer größer werdende Dilemmata von Ärzt_innen und Geschäftsführer_innen dürfe nicht länger tabuisiert werden.

Wie lange hält das System dem Druck noch Stand?

Zu der dort vorgestellten Studie von Wehkamp und Naegler erläutert das Deutsche Ärzteblatt  die harten Fakten der Finanzmittelknappheit: In den Krankenhäusern müssten die Verluste, die etwa durch technische Überkapazitäten oder Kostenentwicklung entstehen, kompensiert werden. Zudem gelte:

„Die Bundesländer finanzieren entgegen rechtlicher Verpflichtungen nur noch etwa 50 % der erforderlichen Investitionen; den Rest müssen die Krankenhäuser selbst aufbringen. Die Notfallambulanzen können nicht kostendeckend betrieben und die sogenannten Extremkostenfälle nicht kostendeckend behandelt werden. Die dadurch entstehenden Verluste müssen durch Gewinne aus dem stationären Bereich ausgeglichen werden.“

Auch Forscher der Universität Witten/Herdecke haben sich in einem Projekt Entscheidungsfindung im Krankenhausmanagement dem ökonomischen Druck gewidmet und zwar aus Sicht von Menschen in Führungspositionen (kaufmännische und ärztliche Akteure sowie Pflegedienstleitungen). Diese würden sich aufgrund des im System angelegten Stresses nur noch begrenzt in der Lage sehen, in einer positiven Weise mit den massiven Widersprüchen des Gesundheitssystems umzugehen. Projektleiter Prof. Dr. Werner Vogd resümiert:

„Führungskräfte nehmen oftmals zynische Haltungen ein oder neigen dazu, nur noch ‚auf Distanz‘ zu managen, um nicht so stark mit den offensichtlichen Problemen der ökonomischen Zurichtung des Krankenhauswesens konfrontiert zu werden […] Insbesondere für die Zukunft stellt sich die Frage, wie lange der existenzielle Druck auf Krankenhäuser noch aufrecht erhalten werden darf, ohne dass die professionellen Kulturen ernsthaft Schaden nehmen. Die Untersuchungen legen nahe, dass zumindest im Bereich der Pflege dieser Punkt vielfach schon überschritten ist, aber auch im ärztlichen Bereich bereits Erosionen zu beobachten sind. Die Trägerschaft spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.“