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Palliativprofessoren beklagen in ärztlichen Publikationsorganen Einseitigkeit gegen Suizidhilfe

20. Feb 2020

Anmerkung der Redaktion des Newsletter Patientenverfügung: Die nachfolgende Replik der Palliativprofessoren Dr. Gian Domenico Borasio und Dr. Dr. Ralf J. Jox kann nicht ohne Hintergrundinformation verstanden werden. Wir bitten deshalb, zunächst hier den Beitrag „Gesellschaft für Palliativmedizin mit fragwürdigen Stellungsnahmen” zur Kenntnis zu nehmen. Die kritischen Anmerkungen von Borasio und Jox sind zunächst eine Replik auf jene 27 Autor_innen, die das „Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin“ (DGP) zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) verantwortet haben. Dieses wurde Monate später einer breiteren Öffentlichkeit erst durch den Abdruck im Deutschen Ärzteblatt unter dem Titel „Umgang mit Sterbewünschen“ bekannt. Borasio und Jox monieren daran, dass eine ideologisch motivierte Position, nämlich Suizidhilfe als überflüssig und Sterbehilfe (Hilfe im Sterben) als unethisch zu diffamieren, sich als Alleinvertretungsanspruch der DGP sowie der Ärzteschaft darstellt.

Die nachfolgende Replik wurde als Leserbrief zum Artikel „Umgang mit Sterbewünschen“ dem Deutschen Ärzteblatt angeboten, aber dort nicht veröffentlicht. Die Zeitschrift für Palliativmedizin hat ebenfalls eine Publikation abgelehnt. Borasio und Jox sprechen diesbezüglich von offensichtlicher Zensur missliebiger wissenschaftlicher Diskursbeiträge seitens der Publikationsorgane der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Sie seien darüber besonders bestürzt, zumal doch beide Standesorganisationen sich regelmäßig als Horte des kritischen intellektuellen Austausches darstellen würden. Sie danken den Herausgebern des „Newsletter Patientenverfügung“, die sich für die Veröffentlichung ihrer nachfolgenden Replik entschlossen haben, für deren Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung auch im Wissenschaftsbereich.

Kritische Anmerkungen zum DGP-Positionspapier zum Freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken

Von Prof. Dr. Gian Domenico Borasio und Prof. Dr. Dr. Ralf J. Jox

Ralf J. Jox

Gian Domenico Borasio

Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zum Freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) (1) ist aus unserer Sicht ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man sophistische Haarspalterei in den Dienst einer politisch gewollten Positionierung stellt. Ironischerweise nehmen die Autoren für sich in Anspruch, „ethisch reflektiert und wissenschaftlich basiert“ Stellung zu beziehen – erwähnen aber mit keinem Wort, dass die Arbeitsgemeinschaft Ethik der DGP, also die Sachverständigen der eigenen Fachgesellschaft, das Papier übereinstimmend abgelehnt hat. Dass zudem eine zentrale ethische Frage dieser Debatte, nämlich die Zulässigkeit der palliativen Sedierung im Rahmen eines FVET, in der Stellungnahme nicht einmal erwähnt wird, sei nur am Rande bemerkt.

Die Stellungnahme liest sich als der verzweifelte Versuch, die ideologisch begründete Ablehnung des ärztlich assistierten Suizids dadurch zu festigen, dass man den FVET als „moralisch saubere“ Alternative propagiert. Um dies zu erreichen, und das ist der zentrale Punkt der Stellungnahme, ist die Feststellung nötig, dass FVET bei Palliativpatienten gar kein Suizid darstelle. Da es sich dabei aber auch nicht um einen Behandlungsabbruch handelt, wird dem FVET der innovative Status einer lebensbeendenden Maßnahme sui generis zugestanden.

Zu bemerken ist, dass sich die DGP-Stellungnahme explizit nur auf Menschen “mit lebensbedrohlichen oder lebenslimitierenden Erkrankungen“ bezieht. Das ist verständlich, denn kein Mensch würde auf die Idee kommen, einen tödlichen FVET eines 19jährigen wegen Liebeskummers als etwas anderes als einen Suizid zu bezeichnen. Damit sind aber alle Unterscheidungs-Argumente, die mit der Temporalität und Reversibilität des Geschehens zu tun haben, hinfällig. Es bleibt die Feststellung, dass das, was bei jungen Menschen eindeutig eine suizidale Handlung darstellt, dieses Attribut bei Palliativpatienten plötzlich verliert.

Die inhärente Unlogik einer solchen Behauptung lässt sich leicht anhand folgender, nicht beantwortbarer Fragen zeigen: Welcher zeitliche Abstand zum Tode wäre für eine solche „ethische Umkehr“ mindestens notwendig? Gibt es dafür eine Altersgrenze? Bei welchen Diagnosen darf FVET als Suizid gelten, und bei welchen nicht? Die formalen „Abgrenzungs“-Kriterien der Autoren zwischen FVET und Suizid sind ebenfalls leicht widerlegbar: auch ein eindeutig suizidaler Mensch, der sich in einer kalten Winternacht leicht bekleidet und alkoholisiert in den Wald legt, um zu erfrieren, „bewahrt seine körperliche Integrität“, beendet das Leben „nicht durch einen äußeren Eingriff“ und es „verbleibt für einen Teil dieser Zeit die Möglichkeit des Abbruchs“. Es bleibt am Ende die offensichtliche Feststellung: der bewusste, absichtliche Entzug einer lebensnotwendigen Substanz zum Zwecke des Herbeiführens des eigenen Todes ist beim FVET (Nahrung und Flüssigkeit) genauso eindeutig ein Suizid wie beim Ertrinken (Luft).

Damit stellt sich auch die Frage, ob eine palliativmedizinische Begleitung, die für die erfolgreiche Durchführung eines FVET vom Patienten a priori als unerlässlich angesehen wird, nicht die Definition der Suizidassistenz nach §217 StGB erfüllt (für Details s. Ref. 2). Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, da dem missratenen § 217 selbst wohl nur noch eine kurze Lebensspanne bleibt.

Auf der anderen Seite eröffnet aber die differenzierte Betrachtung einer eindeutig suizidalen Handlung bei schwerkranken Menschen am Lebensende durchaus interessante Perspektiven. Es könnte sich lohnen, darüber nachzudenken, ob für eine solche Handlung (egal, ob als Einnahme von Pentobarbital oder als FVET) bei diesem Personenkreis tatsächlich die Bezeichnung „Suizid“ angemessen ist. Denn hier wird nicht ein gesundes Leben „gefällt“ (sui caedere), sondern eine als qualvoll erlebte Sterbephase abgekürzt. Sofern hierzu ärztliche Unterstützung benötigt wird (welche die Autoren der Stellungnahme für den FVET zurecht als zulässig bezeichnen), wäre es überlegenswert, dafür eher den Begriff der „Hilfe im Sterben“ zu verwenden, der auch ein deutlich geringeres Risiko der Stigmatisierung der Patienten und Familien mit sich bringt.

Literatur

  1. Radbruch L, Münch U, Maier BO: Umgang mit Sterbewünschen. Dtsch Ärztebl 2019; 116(41): A1828-32.
  2. Radbruch L, Münch U, Maier BO et al.: Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Online unter: www.dgpalliativmedizin.de/category/167-stellungnahmen-2019.html
  3. Jox RJ, Black I, Borasio GD, Anneser J: Voluntary stopping of eating and drinking: Is medical support ethically justified? BMC Med 2017; 15: 186
  4. Borasio GD: Wie wir über selbstbestimmtes Sterben sprechen. Die Welt, 15.4.2019, S. 2 (Essay).

Prof. Dr. Gian Domenico Borasio, Lehrstuhl für Palliativmedizin Universitätsspital Lausanne, Schweiz, borasio@chuv.ch

Prof. Dr. Dr. Ralf J. Jox, Professor für Ethik in der Medizin und für Geriatrische Palliativmedizin, Universitätsspital Lausanne, Schweiz, ralf.jox@chuv.ch

Die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte bestehen