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Widerstand gegen Suizidhilfe – Katholische Kirche verweigert die Sakramente

16. Dez 2020
Gita Neumann, Dipl.-Psych. Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

Auf die wegweisende Freigabe der Suizidhilfe durch das Bundesverfassungsgericht reagieren viele Hospiz- und Palliativfunktionäre mit Widerstand. Und der Vatikan verschärft mittels Glaubenskongregation seine gnadenlose Ablehnung jeglicher Sterbehilfe. Selbst der freiwillige Behandlungsverzicht zur Herbeiführung des Todes wird darin für gottlos und sündig erklärt. Schwerstleidenden Patient_innen mit „Euthanasie“-Wunsch ist Rom zufolge zukünftig die „Sterbe-Kommunikation“, d.h. Beichte und Salbung, zu verweigern.

Dies geht hervor aus dem Dokument Samaritanus Bonus der Glaubenskongregation vom 22. September 2020. Die Zeit zitiert daraus unter anderem, dass Hilfe zum Sterben ein “Verbrechen gegen das menschliche Leben” sei, ein “in sich böser Akt, in jeder Situation und unter allen Umständen”. Anlass für das Schreiben ist das Anliegen des Vatikans, verstärkt an bestehende katholische Richtlinien zu erinnern, da das staatliche Recht in diesen Fragen in vielen Ländern zunehmend freizügiger wird.

Schlupfloch für die Seelsorge: Mutmaßliche Reue

Das 23seitige engbeschriebene Dokument in italienischer Sprache wurde von Papst Franziskus „am 25. Juni 2020 gutgeheißen und seine Veröffentlichung angeordnet“, wie es im Schlusssatz heißt. Die Richtlinien in Samaritanus Bonus betreffen Maßnahmen am Lebensende und besagen unter anderem: Jeder Kranke, der den „schweren unmoralischen Akt Sterbe- oder Suizidhilfe” für sich in Anspruch nehmen wolle und an seiner Entscheidung mutmaßlich (!) noch als Bewusstloser festhalte, dürfe keine Sterbe-Kommunikation und -Sakramente der Kirche erhalten.

Das erschütternde Ausmaß des Dokuments Samaritanus Bonus, welches 99 theologische Quellennachweise enthält, wird erst in der ins Deutsche übersetzten Version Der barmherzige Samariter deutlich. Diese liegt der Autorin dank eines aufmerksamen Lesers vor. Darin ist im Hauptkapitel „Die Verkündigung des Lehramtes“ nachzulesen, dass auch die Einstellung der künstlichen Ernährung „zur Herbeiführung des Todes” grundsätzlich „unzulässig“ sei, solange der Körper Nahrung noch verwerten könne.

Jede_r Schwerst- oder Todkranke habe “im letzten Lebensstadium Anspruch darauf, dass man ihm hilft, ihn umsorgt, ihn liebt” – aber in Krankenhaus- oder Hospizzimmern sei nach einem Euthanasieverlangen den Betroffenen sogar die Beichte zu versagen. Denn „eine Person, die sich völlig frei dazu entscheidet, sich das Leben zu nehmen“, hat „ihre Beziehung mit Gott und mit den anderen“ gebrochen und widerspreche sich selbst als Subjekt im moralischen Verhältnis, “welches die Menschen untereinander verbindet“.

„Ausnahmen könne es geben,“ schreibt der Spiegel lapidar, „wenn ein Priester überzeugt sei, dass die sterbende Person ihre Meinung geändert habe. Auch wenn der Patient bewusstlos sei und man Reue annehmen könne (sic), dürfe er die Sakramente erhalten.“ Dies mögen katholische Seelsorger am Sterbebett als heuchlerisches Schlupfloch in Anspruch nehmen. Doch gilt für sie zu beachten: „In Bezug auf das Sakrament der Buße und Versöhnung muss der Beichtvater sich vergewissern, dass es Reue gibt, die … als ein `Schmerz der Seele und ein Abscheu über die begangene Sünde, mit dem Vorsatz, fernerhin nicht mehr zu sündigen´ [Trienter Konzil, Sess. XIV] charakterisiert wird.“ Als Beleg für diesen Vorsatz gelte, „dass eine Person, die sich in einem Verein registriert hat, um Euthanasie oder assistierten Suizid zu erhalten“, die Mitgliedschaft dort rückgängig macht.

Pflicht zur Behandlung auch mit künstlicher Nahrungszufuhr

Die folgenden Zitate sind weiterhin dem Kapitel „Die Verkündigung des Lehramtes“ in der deutschen Übersetzung entnommen. Darin heißt es, Patientenverfügungen seien ursprünglich sinnvollerweise „als Mittel zur Vermeidung des therapeutischen Übereifers in der Endphase des Lebens konzipiert“ worden. Doch zwischenzeitlich hätte die darin ausgedrückte Selbstbestimmung dazu geführt, „die Ärzte der Freiheit und der Pflicht zu berauben, zum Schutz des Lebens zu handeln, auch dort, wo sie dies tun könnten.“ Besorgniserregend sei beim verfügten Behandlungsverzicht, wenn er beim Gebrauch von Vorsorgeverfügungen „in der Perspektive der Euthanasie zustande kommt“.

Die Definition der Euthanasie gehe aus von „eine[r] Handlung oder Unterlassung …, die ihrer Natur nach oder aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt“. Das grundlegende und unausweichliche Prinzip der Begleitung des Patienten unter kritischen und/oder terminalen Bedingungen sei „die Kontinuität der Unterstützung seiner wesentlichen physiologischen Funktionen.“ Dazu gehöre es vor allem, die zur „Aufrechterhaltung der Homöostase des Körpers erforderlichen Lebensmittel und Flüssigkeiten … zu verabreichen“. Ihre Unterlassung, auch als künstliche Verabreichung, habe „die Bedeutung eines echten Aktes der Euthanasie“.

Als Bollwerk gegen die Sterbe- und Suizidhilfe wird „die Einrichtung von Hospizen“ gepriesen, in die todkranke Menschen aufgenommen werden, um umfassende Fürsorge und spirituelle Begleitung bis zum letzten Moment zu gewährleisten. Sie seien die „christliche Antwort auf das Geheimnis von Tod und Leiden“, „Heiligtümer von Schmerz, der mit einer Sinnfülle erlebt wird“ und „ein Beispiel für die Menschlichkeit“. Zudem sei „die Palliativmedizin ein wertvolles und unverzichtbares Instrument, um den Patienten in den schmerzhaftesten, am meisten durchlittenen, chronischen und tödlichen Stadien der Krankheit zu begleiten“. Die palliativen Behandlungsmethoden seien „der authentischste Ausdruck menschlicher und christlicher Fürsorge“. Die Euthanasie hingegen sei „eine mörderische Handlung, die von keinem Zweck legitimiert werden kann und die keine Form von Mittäterschaft oder Mitwirkung toleriert“.

Ins Visier der vatikanischen Glaubenskongregation geraten ist dabei auch „die Verbreitung medizinischer Protokolle, die auf Situationen am Lebensende anwendbar sind“, das heißt eben von Patientenverfügungen, mit denen auf noch mögliche lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird, um vorzeitig zu sterben. Aus einer Rechtslage, welche die aktive oder passive (sic) Euthanasie genehmigt, erfolge „die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen“. Prinzipiell habe auch bei behandlungsverzichtenden Patientenverfügungen zu gelten: „In jedem Fall ist der Arzt niemals ein bloßer Vollstrecker des Willens des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters.“

Palliativ- und Hospizversorgung als Bollwerk gegen Verfassungsrecht

Die moralische Bewertung der Hilfe zur Selbsttötung und die daraus resultierenden Konsequenzen hängen laut Dokument der Glaubenskongregation niemals von bestimmten Kriterien wie verlorener Lebensqualität bei schwerer unheilbarer Krankheit, und „nicht von einem Ausgleich von Grundsätzen ab, die, je nach Umständen und Leiden des Patienten, nach Ansicht einiger die Beseitigung der kranken Person rechtfertigen könnten“.

Bemerkenswerterweise kommt das Bundesverfassungsgerichts-Urteil zur Suizidhilfe – allerdings auf der Grundlage von Entscheidungsfähigkeit und Autonomie – zum gleichen Ergebnis, nämlich dass jegliche Fremdbewertung auszuschließen ist. Im Karlsruher Urteil vom 26. Februar 2020 heißt es dazu: Das Verfügungsrecht über das eigene Sterben ist „nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. […] Dieses Recht besteht in jeder Phase menschlicher Existenz.“ Die Verwurzelung des Persönlichkeitsrechtes „in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG impliziert gerade, dass die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung bedarf.“(Siehe ausgewählte Zitate des Urteils in der diesseits „Recht auf Suizidhilfe absolut oder relativ?“)

Angesichts dessen gilt laut Dokument der Glaubenskongregation allerdings: „Im Rahmen ihrer Mission, den Gläubigen die Gnade des Erlösers und das heilige Gesetz Gottes zu vermitteln, das bereits in den Bestimmungen des natürlichen Sittengesetzes wahrnehmbar ist, fühlt sich die Kirche verpflichtet, hier einzugreifen.“ Zumindest die Funktionäre der Palliativmedizin und der Hospizbewegung in Deutschland sehen es genauso. Das zeigen ihr Widerstand und ihre Empörung gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur erlaubten Suizidhilfe – zusammen im Einklang mit den beiden christlichen Kirchen. Das Vatikan-Dokument weist selbst darauf hin, dass dies, anders als in Deutschland, keinesfalls überall so sein muss: „In einigen Ländern der Welt sehen die nationalen Vorschriften für die Palliativversorgung vor, dass […] ärztliche Beihilfe zum freiwilligen Tod ein integraler Bestandteil“ von palliativ-hospizlicher Arbeit sei, die in deren Rahmen als moralisch erlaubt beantragt werden könnte: „Diese normative Regelung ist ein Grund für eine ernsthafte kulturelle Verwirrung.“

In Deutschland sind es in rigoroser Weise die Hospizbewegung und etwas moderater – gemeinsam mit der Bundesärztekammer – Funktionäre der Palliativmedizin, welche sich gegen die Suizidhilfe positionieren. So machen sich besonders laut vernehmbar Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes, und Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), in der Öffentlichkeit und beim Gesetzgeber für restriktive Suizidhilfe-Regularien stark. Sie schrecken dabei auch vor Irreführungen nicht zurück. Doch auf die Anmaßung einer Wortführerschaft der Funktionäre kritisch zu reagieren, wird erschwert, wenn sich dagegen Stimmen aus den eigenen Reihen formieren. So druckte die FAZ die richtigstellende Replik auf einen bei ihr erschienenen teils fehlerhaften Offenen Brief von DGP-Präsident Radbruch und anderen Mediziner_innen offenbar erst ab, nachdem ersatzweise die Replik der Kritiker_innen im Humanistischen Pressedienst veröffentlicht worden war.

Der DGP-Vorstand kann auch gar nicht für eine überwältigende Mehrheit der etwa 6.000 Mitglieder sprechen, die durchaus uneins sind. Von Kritiker_innen wird ihm aufgrund der Einseitigkeit seiner Stellungnahmen undemokratisches Vorgehen vorgeworfen. Dabei führt die Ärztin und Medizinethikerin Prof. Bettina Schöne-Seiffert aus: „Deswegen habe ich große Sorge, dass da ich nenne es jetzt mal bei dem unangenehmen Namen – alte Seilschaften auch im Verhältnis zwischen Kirchengremien und politischen Gremien dafür sorgen werden, dass eine kleinere Schwester von § 217 StGB wieder auf den Tisch kommt. Das wäre wirklich nicht das, was man sich für eine moderne, pluralistische Gesellschaft, die aushalten muss, dass Menschen in diesen Fragen unterschiedlich ticken, wünschen würde.“

Samaritanus Bonus, die ins Deutsche übersetzte Version Der barmherzige Samariter finden Sie hier: Glaubenskongregation