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13.12.2011

13. Dez 2011

Durchbruch nach langem Tauziehen: Mitarbeiter von Krankenkassen und Behörden sollen künftig die Menschen in Deutschland regelmäßig auf ihre Bereitschaft ansprechen, Organe zu spenden.

Die Zahl der Organspender soll erhöht werden, ohne Zwang auszuüben. Darauf haben sich am 24.11. alle Fraktionen des Bundestages auf Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Volker Kauder (CDU) zusammen mit Bundesgesundheitsminister geeinigt. Danach soll zukünftig jeder Bürger nach seiner Bereitschaft zur Organspende gefragt werden etwa bei der Übersendung der Versichertenkarte. Mit so viel Nachdruck wie möglich, ohne jedoch eine Antwort zu erzwingen oder Sanktionen auszuüben”, solle die Abfrage geschehen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Bundestagsfraktionen.

Doch die wohl einmalige Einhelligkeit im Bundestag täuscht. Außerhalb des Parlaments und den eindeutig für die Organspende werbenden Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Organspende (DGO) melden sich kritische, ablehnende und nachdenkliche Stimmen zu Wort.

Die so genannte Entscheidungslösung soll in der ersten Jahreshälfte 2012 durch den Bundestag verabschiedet werden. Sie tritt an die Stelle der bisher geltenden Zustimmungslösung, wonach ein Mensch zu Lebzeiten bisher aus eigenem Antrieb – einer Organspende zugestimmt haben muss oder Angehörige eines Hirntoten dies stellvertretend tun. Allerdings bleibt weiterhin die Zustimmung (und nicht umgekehrt der Widerspruch) Basis für die Zulässigkeit einer Organentnahme. Sie ist in Deutschland zudem ausschließlich bei Menschen möglich, die i. d. R. durch schwere Kopfverletzung nach Unfall  einen Hirntod erlitten haben, wobei das Herz-Kreislaufsystem künstlich aufrechterhalten werden kann.

Laut Umfragen sind zwar etwa 75 Prozent aller Bundesbürger bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden – doch nur etwa 25 Prozent besitzen einen Organspende-Ausweis. 12.000 Kranke warten dringend auf ein Spenderorgan. Allerdings tritt der seltene Hirntod (vor dem Herztod) nur sehr selten, schätzungsweise bei 1 Prozent aller Todesfälle auf.

 

Rigorose Ablehnung durch wertkonservative Lebensschützer:

Es gibt kein Recht auf Gesundheit

Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb (Stuttgart), erklärte: Zwar haben alle das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit; daher rührt auch das Recht auf bestmögliche medizinische Versorgung. Aber es muss auch klar bleiben: es gibt kein Recht auf Gesundheit.

Scharfe Kritik übte die Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr (Königstein/Taunus). Es grenzt an Willkür, dass sich die Chefs der Fraktionen ohne eine vorausgegangene breite Debatte in der Öffentlichkeit geeinigt haben, sagte Löhr gegenüber dem Mediendienst idea. Der Antrag laufe auf eine Vergesellschaftung der Organe des Einzelnen hinaus und sei damit eine unglaubliche Hybris des Staates.

Zwar werde bei der vorgeschlagenen Lösung formal das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt, doch indirekt übe der Staat Zwang auf die Bürger aus. Löhr: Das hat den Charakter einer Nötigung. Besonders bei körperlich oder psychisch schwer erkrankten Menschen könne dies äußert negative Konsequenzen haben.

Quelle: http://www.kath.net/detail.php?id=34111

 

Realistische Einwände bei Humanisten:

Bevölkerung muss endlich wertneutral aufgeklärt werden

Sehr differenziert, faktenreich und ausführlich fällt die Stellungnahme von Erwin Kress, Bundesvorstandsvize des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) aus:

Ist die Zustimmung zur postmortalen Organspende ein großmütiges Geschenk? Wirken hier trotz der geltenden Freiwilligkeit moralische Zwänge? Aber vor allem: Sind Organe wirklich knapp oder ist der Mangel an Organen eine Folge schlechter Organisation im Gesundheitswesen? Diesen und anderen Fragen geht im bei humanismus aktuell eingestellten Text Erwin Kress nach.

Kress geht in seinem Beitrag Organspende eine Hilfe mit vielen Hindernissen auf vom Gesetzgeber zu ziehende Konsequenzen ein, nachdem er Zahlen, Daten und Fakten präsentiert hat. Er problematisiert und hinterfragt, dass und ob zu viele Ablehnungen bei möglichen Organspenden vorliegen. Dass mögliche Organspenden gar nicht ausreichend erfasst werden, liege an der Organisation des Organspendeprozesses in Deutschland, die er ausführlich beschreibt. Danach zieht er folgende Hauptforderung:

Der Staat muss endlich und ernsthaft dafür sorgen, dass die organisatorischen, aufsichtsrechtlichen und finanziellen Strukturen so beschaffen sind und eingehalten werden, dass die Zahl potentieller Organspender in den Krankenhäusern ausgeschöpft wird.

Der Autor bringt auch die Erfahrungen des HVD mit Patientenverfügungen ein, wobei immer nach der Organspendebereitschaft gefragt wird. Auf der Basis einer Zahl von genau 10.000 vom Verband erstellten Standard-Patientenverfügungen, die vor wenigen Wochen erreicht war, ging hervor: Bei der dabei stets abgefragten Festlegung zur Organspendefrage (Ja, Nein oder Unentschieden) war es mit 54 Prozent eine Mehrheit von Menschen, die sich im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über ihr Sterben dagegen aussprach.

Eine solche nicht-vereinseitigte, alle Gesichtspunkte möglichst gleichermaßen berücksichtigende Aufklärung zur Organspende sollte laut Kress die Regel sein. Er fordert dazu: Insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die im Transplantationsgesetz benannten Krankenkassen müssen ihre Aufklärungsarbeit endlich ernst nehmen, und dabei nichts beschönigen, sondern die Menschen wertneutral und wahrheitsgemäß informieren. Die Menschen haben ein Recht zu wissen, was es bedeutet, Hirntod zu sein unter intensivmedizinischer Lebenserhaltung der sonstigen Organe; ob alle Rettungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, falls sie als Organspender in Frage kommen; wie die Entnahme und Verteilung vonstatten geht. An aufgeklärte Menschen kann man dann auch appellieren, sich altruistisch zu zeigen. Und ihnen lässt sich aufzeigen, dass die Zustimmung zur Organspende zu Lebzeiten die Angehörigen im Zweifelsfall entlastet.

Und weiter: Der Staat und seine Institutionen sowie die Krankenkassen täten gut daran, ihre gesundheitliche Aufklärung auch dahingehend auszudehnen und zu verbessern, dass die Bevölkerung erstens Risiken klar erkennen kann, die zum Angewiesensein auf fremde Organe führen können; und zweitens auch erfährt, dass Organempfang oft mit großen medizinischen und seelischen Komplikationen einhergeht.

Quelle: Organspende eine Hilfe mit vielen Hindernissen

 

Deutsche Hospiz-Stiftung kritisiert die Neuregelung:

Diese löse keinesfalls das Problem

Auch die Deutsche Hospiz-Stiftung (DHS) fordert mehr Transparenz und (wertneutrale) Aufklärungsangebote. Stiftungsvorstand Eugen Brysch erklärte, die Bürger regelmäßig nach ihrer Bereitschaft zur Organspende abzufragen, löse die Probleme überhaupt nicht. Es werde keine Wirkung zeigen, die Anzahl der Ausweisträger zu erhöhen. Das habe keinen Einfluss auf die tatsächliche Anzahl der Organspender. Tatsächlich sei mehr Aufklärung und Transparenz nötig.

Quelle: http://www.hospize.de/servicepresse/2011/mitteilung452.html

 

Stellungnahme des CSU-Politikers Johannes Singhammer

Zu einem überzeugende Fürsprecher für das neue Gesetz zählt der für den Bereich Gesundheit zuständige Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag Johannes Singhammer wobei er für sich selbst eine Organentnahme nach Hirntod ablehnt. Mit dem Tagesspiegel spricht der CSU-Politiker über Organspende, Nächstenliebe und Selbstbestimmung:

Tagesspiegel: Manche zweifeln auch, ob Organspende mit würdigem Sterben vereinbar ist …

Singhammer: Das gehört ebenso zu dem Spektrum berechtigter Fragen, wie die Überlegung, wie sich die Bereitschaft, eigene Organe zu spenden, mit einer Patientenverfügung verträgt, die ja inzwischen sehr viele unterzeichnet haben und mit der sie lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen. Wichtig ist mir bei alldem, dass jeder über die letzten Stunden seines Lebens frei entscheiden können muss. Deshalb bin ich auch froh, dass die Widerspruchslösung vom Tisch ist. Es wäre ein massiver Eingriff in die Freiheit des Menschen, wenn jeder zum potenziellen Organspender erklärt wird, der dem zu Lebzeiten nicht aktiv widersprochen und dies amtlich hinterlegt hat.

Tagesspiegel: Müssten die offenen Fragen nicht ausdiskutiert sein, bevor man alle Bürger mit Nachdruck zu einer Festlegung auffordert?

Singhammer: Mein dringender Rat ist, sie nicht auszusparen. Die Diskussion in einem freiheitlichen Staat wie dem deutschen lässt sich sowieso nicht beschränken. Und aus meiner Sicht erklärt sich die Diskrepanz zwischen der hohen Zustimmung zur Organtransplantation und der geringen Zahl von Spendenausweisbesitzern genau mit dieser großen Unsicherheit angesichts des Übergangs vom Leben zum Tod.

http://www.tagesspiegel.de/politik/fuer-mich-lehne-ich-eine-organspende-ab/5889422.html

 

Was Angehörige von verunfallten hirntoten Patienten erlebt haben:

Siehe http://www.tagesspiegel.de/politik/organspenden-die-letzte-frage/5884596.html