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Für Organentnahme soll der fehlende Widerspruch reichen

12. Sep 2018

Gita Neumann, Dipl.-Psych.
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

Ein „Ja“-Kreuz auf einem Spenderausweis mit Unterschrift genügt, damit nach „Feststellung meines Todes“ Organe entnommen werden können. Doch alle Werbekampagnen reichten nicht. Nun soll es eine Widerspruchslösung richten.

Was die freiwillige Bereitschaft zur Spende von Herz, Lunge oder Niere angeht, liegt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinten. Die unlängst veröffentlichten Organspendezahlen des vergangenen Jahres zeigen einen historischen Tiefstand. Prof. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrums München und Präsident der Stiftung Eurotransplant, spricht von einer nationalen Katastrophe.

Widerspruchslösung soll gegen Organmangel helfen

Neben Deutschland gehören Eurotransplant sieben weitere Länder an: Belgien, Niederlande, Luxemburg, Kroatien, Ungarn, Österreich und Slowenien. In diesem Einzugsgebiet leben circa 136 Millionen Menschen. Die Vorteile der Zusammenarbeit ergeben sich zum einen aus einem gemeinsamen Spender- und Verteilersystem. Zum anderen gibt es eine zentrale Warteliste – wovon Deutschland aufgrund der höheren Organzahlen andernorts zwar zu profitieren vermag, trotzdem warten hierzulange circa 10.000 Schwerkranke auf ein Spenderorgan.

Die drastisch zurückgegangene deutsche Spendenbereitschaft im Vergleich zu anderen Mitgliedsländer zeigen die Zahlen und Graphiken der Stiftung Eurotransplant:

Es gab 2017 in Deutschland nur noch 769 hirntote Spender_innen, denen insgesamt 2.664 Organe entnommen wurden. Die Zahl derjenigen, die aufgrund eines festgestellten Hirntods für eine Transplantation zur Verfügung standen, lag damit bei 9,3 pro eine Million Einwohner. Dies ist unterhalb der kritischen Marke von 10 pro eine Million Einwohner, welche international als Voraussetzung für ein funktionsfähiges Organspendesystem gilt. Von den acht Eurotransplant-Ländern sind Österreich und Kroatien die Spitzenreiter mit einer Marke knapp über 30 pro eine Million Einwohner. In beiden Ländern gilt die einfache Widerspruchslösung, das heißt, nur die Betroffenen selbst können widersprechen und ihre Angehörigen können im eingetretenen Fall gegen Hirntoddiagnostik und Entnahme keine Einwände mehr geltend machen.

Spahns Vorstoß zur Neuregelung

Für eine Widerspruchslösung hat sich nunmehr Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Bild-Zeitung ausgesprochen. Sein Vorschlag: Künftig sollen alle Bundesbürger_innen automatisch Organspender_innen sein – es sei denn, sie hätten vorsorglich der Entnahme von Spenderorganen widersprochen oder aber ihre Angehörigen widersprechen. Dies wäre das Modell einer doppelten Widerspruchslösung wie in Belgien.

Auch aus den eigenen Reihen gab es für Spahn Kritik, aber auch prominente Fürsprache  wie vor allem von der Kanzlerin und dem Bundesärztekammerpräsidenten. Aus Sicht von Prof. Meiser ist damit aber der drastische Rückgang der Organspenden nicht aufzuhalten. Auch das schwindende blinde Vertrauen in der Bevölkerung nach einigen Skandalen sei nicht die Ursache: “Der Grund dafür ist meiner Meinung nach, dass insgesamt dieses System in Deutschland zu viele Hürden aufbaut, und dass es keine Motivationsanreize für die Kliniken gibt, sondern eher Hürden, um die Toten zu identifizieren und dann diesen ganzen Prozess einzuleiten.”

Hirntod ist ein Konstrukt

Es heißt: „Um die Toten zu identifizieren“, Zustimmung zur Organentnahme „nach Feststellung meines Todes“. Mit gutem Grund werden vom Eurotransplant-Leiter Meiser ebenso wie von der Deutscher Stiftung Organspende wie auf den Organspendeausweisen ausschließlich Begriffe wie „Tote“ und „Tod“ verwendet. Korrekterweise ist der dem Organspendeverfahren einzig angemessene Begriff jedoch „Hirntod“. Dieser wird ganz offensichtlich vemieden. Wer sich mit der nötigen Feststellung des Hirntodes beschäftigt, kommt unweigerlich zum Nachdenken. Das Phänomen kommt zudem nur in den seltenen Fällen in Betracht, wenn – in der Regel durch Kopfverletzung – sich das Absterben der Gehirnzellen vor dem Herztod vollzieht. Normalerweise ist es ja umgekehrt. Das wissenschaftlich fundierte Konzept besagt, dass das vollständig abgestorbene Hirngewebe bei künstlich aufrechterhaltender Herz-Kreislauf-Aktivität genau das gleiche ist, wie der „herkömmliche“ Tod des Menschen (der ja durch Aufhören von Herz- und Atemtätigkeit, dann Erkaltung, Leichenstarre et cetera bestimmt ist).

Diese Gleichsetzung kann je nach Weltanschauung befürwortet, skeptisch gesehen oder abgelehnt werden. Fest steht jedoch: So etwas wie der Hirntod ist eine Hilfskonstruktion, welche eigens erfunden wurde, um der Transplantationschirurgie zu ihrem Aufschwung zu verhelfen. Nur damit sind überhaupt (mit Ausnahme der Lebendspende etwa einer Niere) legal Organe zu entnehmen und zu transplantieren. Denn Organe von Toten kann man nicht verpflanzen und die von Lebenden darf man nicht herausschneiden, wenn man sie damit töten würde.

Was die Ärzte genau untersuchen, um den Hirntod eines komatös aussehenden Patienten festzustellen, beschreibt die Medizinethikerin Sabine Müller wie folgt: „Wer hirntot ist, ist bewusstlos, hat keine Hirnstammreflexe mehr und atmet nicht mehr eigenständig, weil sein Atemzentrum im Hirnstamm nicht mehr funktioniert. Die Patienten zeigen keine Reaktion auf Schmerz, haben auch keinen Würgereflex mehr und ihre Pupillen reagieren nicht auf Lichtreize. Andere Ursachen, die diesen Zustand erklären könnten, sind zuvor auszuschließen.“ Auszuschließen wäre ein tiefes Koma, also eine Schädigung des Gehirn, die nicht vollständig alle Teile des Gehirns betrifft und absolut irreversibel ist. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation, so Müller kam es in 0,67 Prozent der Fälle zu einer fehlerhaften Hirntoddiagnose. Als Organspender_in auf der Intensivstation als hirntot diagnostiziert worden zu sein bedeutet, dann beatmet und mit warm durchblutetem Körper zur Organentnahme in den OP geschoben zu werden. Dort erst wird das noch schlagende Herz zum Stillstand gebracht. Es gilt als sicher, dass die Organspendenden von all dem nichts merken können, da sie ohne jegliche Gehirnaktivität ja quasi tot sind. Vorausgegangen sind allerdings die notwendigen Diagnoseverfahren, die viele Menschen als Störung der Endphase ihres Sterbens empfinden könnten, zumal dann ja erst geprüft wird, ob sie wirklich schon hirntot sind.

Irreführende Organspende-Werbung statt Aufklärung

Der Humanistische Verband Deutschlands hat seit Jahren darauf hingewiesen, dass es eine interessengeleitete Werbekampagne darstellt, wenn es statt „Hirntod“ heißt, der normale „Tod“ sei die Voraussetzung für eine Organspende. Eine leitende Mitarbeiterin des Humanistischen Verbandes protestierte gegen diese Verschleierung auch bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation und erhielt telefonisch die Antwort: Man müsse von Organentnahme „nach dem Tod“ eines Spenders sprechen, da es sich sonst rein rechtlich um ein Tötungsdelikt handeln könnte. In allen Unterlagen, Notfallpässen sowie -karten verwendet hingegen die Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes immer schon den objektiv richtigen Begriff: Hirntod.

Nun scheint es auch aus der Medizin Zuspruch dafür zu geben. Der Chirurg und Publizist Dr. med. Bernd Hontschick bringt es so auf den Punkt: „Für die, die dringend auf ein Organ warten, ist der Hirntod eine segensreiche Erfindung. Für die potenziellen Spender*innen ist der Hirntod aber eine eher riskante Erfindung, die beängstigen kann. Im Organspendeausweis steht: `Ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden.´ Das ist eine glatte Irreführung.“

Jedenfalls sehen erforderliche Maßnahmen, um dem Misstrauen in der Bevölkerung zu begegnen, wohl anders aus.

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