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Wahrscheinlich ziemlich sicher im hoffnungslosen Koma

12. Sep 2018

Gita Neumann, Dipl.-Psych.
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

„Wenn ein Aufwachen aus dem Koma nicht mehr zu erwarten ist, sollen lebenserhaltende Maßnahmen beendet werden.“ So ähnlich steht es in vielen Patientenverfügungen. Aber wie groß darf und kann diese Wahrscheinlichkeit sein? Und was bleibt für den Einzelnen lebenswert?

Sie waren etwa gleich alt und beide sehr prominent. Beide fielen nach einem Skiunfall ins Koma. Der niederländische Königsspross Prinz Friso starb 16 Monate nach der Verschüttung durch eine Lawine. Der Autorennfahrer Michael Schumacher lebt bis heute vermutlich mit schweren Behinderungen geistiger wie körperlicher Art nach seiner Kopfverletzung 2013. Vage Andeutungen einzelner Weggefährten in Boulevardmedien sowie medizinisches Grundwissen lassen auf keine positive Entwicklung hoffen.

Das sogenannte Wachkoma – mit offenen Augen bewusstlos

Nach Berichten aus dem Jahr 2014 sollte Michael Schumacher nach einigen Wochen  „aufgewacht“ sein. Möglicherweise handelte es sich um einen ärztlicherseits durch Medikamente herbeigeführten „künstlichen“ Zustand der Bewusstlosigkeit, um Stress und damit Gehirnschwellung zu reduzieren. Dies ist allerdings kein  Koma, sondern eine Langzeit-Narkose, die gezielt wieder beendet werden kann. Oft ist der Begriff „Aufwachen“ eine Umschreibung für den Übergang von einem tiefen Koma in ein sogenanntes Wachkoma.

Das „Wachkoma“ hat seinen Namen dadurch, dass die Patient_innen einen vegetativen Tag-/Nachtrhythmus haben, bei geöffneten Augen allerdings ins Leere blicken. Die Betroffenen können zudem Reaktionen zeigen wie die Abwehr von Schmerzreizen, Stöhnen oder umgekehrt Zeichen des Entspanntseins. Ein solcher andauernder Zustand ist exakter als „Apallisches Syndrom“ zu bezeichnen, in dem die Hirnrinde nicht funktionsfähig ist (von Pallium=Ummantelung). Er kann unbegrenzt lange anhalten.

Durch moderne bildgebende Technik kann sich auch abzeichnen, dass bei andauerndem Apallischen Syndrom vielleicht ab und zu noch „Inseln von Bewusstsein“ vorhanden sind. Dann spricht man von minimalem Bewusstseinszustand, in dem es unter günstigsten Bedingungen sogar möglich ist, ein eigenständiges Schlucken von zugeführter Nahrung wieder einzuüben. Die Bewusstlosigkeit gilt allerdings dann als kaum mehr besserungsfähig, wenn die sogenannten „Apalliker“ in diesen Zustand aus einem ursprünglich schwereren tiefen Koma „übergegangen“ sind.

Was soll aber verfügt werden bei einem noch „ganz kleinen bisschen Bewusstsein?“ Der Wissenschaftler Johan Stender, Mitautor einer Studie zur Diffenzierung von Komastadien, hält es für fragwürdig, dass dies besser sei als gar kein Bewusstsein: „Es gibt vielleicht Lebenszustände, die sind schlimmer als der Tod.“ Die eigene Einstellung sollte vorsorglich individuell verfügt werden. Freunde und Angehörige klammern sich lange an die Hoffnung des „Aufwachens“ und Ärzte halten ohne wirksame Patientenverfügung an lebensverlängernden Maßnahmen fest.

Was ist ein Koma – vier Stadien

Ein Koma ist ein anhaltender Bewusstseinsverlust durch Gehirnschädigungen, die sehr unterschiedliche Ursachen haben können (vor allem Hirnblutung, Schädel-Hirntrauma durch Kopfverletzung, Stoffwechselstörung, Sauerstoffmangel durch Atmungsprobleme oder nach Reanimation, Nierenversagen). Alle Komapatient_innen sind schwerstpflegebedürftig und bettlägerig. Ein Ausfall von Vitalfunktionen gehört in der Regel nicht dazu, ist aber selbstverständlich zusätzlich möglich. Die Patient_innen erwachen auch durch stärkste Reize nicht, ihre Augen sind geschlossen und sie würden ohne künstliche Ernährung sterben

Seit neuere Verfahren Einblick in die Hirnaktivitäten erlauben, werden heute auch stärkste Bewusstseinseinschränkungen nicht mehr als statisch begriffen. Auch beim Koma handelt es sich um einen – wenngleich oft nur sehr geringfügig veränderlichen – Prozess in alle Richtungen. So können verschiedene Komastadien fließend ineinander übergehen. Für eine differenzierte Diagnose im Rahmen eines Stadienmodells I – IV spielt die Reaktionsfähigkeit der Pupillen eine erhebliche Rolle.

Ein irreversibles tiefes Koma (Stadium IV) ist gekennzeichnet dadurch, dass die Pupillen nicht mehr auf Lichteinfall reagieren und auch sonst keinerlei Reaktion erfolgt. Ein tiefes Koma (Stadium III) zeichnet sich durch ein noch sehr schwaches Reaktionsvermögen der Pupillen und ungezielte Bewegungen aus. Bei den beiden leichteren Stadien I und II ziehen sich die Pupillen bei Lichteinfall zusammen, die Stufe I ist zudem durch die Fähigkeit zu  unbewussten Abwehrreaktionen (wie etwa im Schlaf) gekennzeichnet.

Vielfältige Verläufe – wie sie in einer Patientenverfügung geregelt werden können

Ein Koma kann einige Tage bis maximal mehrere Wochen andauern. Entweder bessert sich der Zustand des Patienten schnell (unterstützt durch Reha-Maßnahmen gegebenenfalls sogar bis zur völligen Genesung). Oder es findet der Übergang in ein sogenanntes Wachkoma (siehe oben) statt. Oder es tritt der Hirntod ein, welcher die Voraussetzung für eine Organspende  darstellt. Ein Wiederaufwachen ist mit zunehmender Dauer umso unwahrscheinlicher – nach sechs bis hin zu zwölf Monaten tendiert die Aussicht auf ein Aufwachen von unter zehn Prozent (selbst bei jüngeren Patient_innen) bis abnehmend unter ein Prozent bis hin zum „Wunder“. In jedem Fall muss dann mit schwersten bleibenden Schädigungen gerechnet werden.

Nach einer Schädelverletzung ist die Wahrscheinlichkeit eines Aufwachens aus der Bewusstlosigkeit erheblich größer als  bei nicht-traumatischem Verlauf, das heißt aufgrund von Sauerstoffmangel oder einer Blutung im Gehirn. Einige wenige Patient_innen erlangen wieder das volle Bewusstsein, bleiben aber am ganzen Körper gelähmt und können sich nur noch über Augenbewegungen verständlich machen (sogenanntes Locked-In-Syndrom).

Die meisten Komapatient_innen, die erst nach sechs bis acht Wochen Besserungen zeigen, bleiben ihr weiteres Leben lang pflegebedürftig. Das Alter spielt eine große Rolle: Immerhin jeder fünfte Patient unter 20 Jahre überstand ein Koma ohne anschließende Behinderung, bei Patienten unter 40 waren es neun Prozent, bei älteren Patienten geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null.

Angesichts dieser Erkenntnisse, die in einem Workshop auf der „Neurowoche“ 2014 vorgetragen wurden, setzte sich der Jurist Gerald Weigl dort mit entspechenden Vorsorgemöglichkeiten auseinander. Er empfahl die Modelle der Zentralstelle Patientenverfügung im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. In der Optimalen Patientenverfügung des Verbandes ist die absolute Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen selbst bei „nur geringfügigen Gehirnschädigungen“ ebenso möglich wie umgekehrt deren Einforderung selbst bei unumkehrbarem  tiefen Koma. Dazwischen gibt es Optionen der Abwägung, je nach Schweregrad der Behinderung und mit einem individuell einzuräumenden Zeitfenster, wie lange auf eine Zustandsbesserung gewartet werden soll.

Genaue Zahlen sind in Deutschland nicht bekannt. Zwischen 400 und 2.000 Menschen sollen hierzulande jedes Jahr neu in ein andauerndes Koma fallen, hieß es 2013.  Aktuellere Schätzungen gehen von 2.000 bis 3.000 Menschen aus. Groben Hochrechnungen zufolge dürfte die Gesamtzahl der viele Jahre, gar Jahrzehnte lang im Koma liegenden Patient_innen – aufgrund der variablen Lebenserwartung – zwischen 8.000 und 12.000 Menschen liegen.

 

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