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Beitrag

Gegen Beschädigung des ärztlichen Ethos Für Suizidhilfe aus Gewissensgründen

14. Mai 2011

Vorige Woche, also kurz vor dem Deutschen Ärztetag in Kiel (vom 31. Mai bis 3. Juni) korrigiert der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) sein Votum zum ärztlich assistierten Suizid. Aus einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Deutschen Bischofskonferenz vom 10. Mai (www.jesus.de/Bischoefe-und-aerzekammer) geht hervor, die BÄK habe sich nun doch anders besonnen. Ein würdeloser Vorgang, der ein Chaos anrichtet und das ärztliche Standesethos irreparabel zu schädigen droht.

Selbst die Ärztezeitung nennt die neu vorgelegte Beschlussfassung zum § 16 der Berufsordnung knallhart: Ärztinnen und Ärzte dürfen danach nunmehr doch keine Hilfe zur Selbsttötung leisten”.

Dabei ist dies seit Februar dieses Jahres alles andere als klar, hatte doch derselbe BÄK Vorstand (!) in den novellierten “Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung” die Frage nach dem ärztlich assisierten Suzid bewusst offen gelassen.

Unklar bliebe – sollten die Delegierten des Ärztetages das nun vorgeschlagene standesärztliche Verbot der Suizidhilfe tatsächlich absegnen – zudem die Frage: Wäre es fortan ärztliche Berufspflicht, einem schwerstkranken Suizidenten, der bewusst aus dem Leben scheiden will, “in den Arm zu fallen”? Was folgt, fragt ein Arzt in einem Leserbrief an die Ärztezeitung, denn dann daraus: Müssen wir versuchen zu reanimieren?

 

Unwürdiges Trauerspiel der Mutlosen

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat in einer Presseerklärung vom 13. 5. beklagt, dass mit diesem Vor- und Zurückrudern der BÄK die Glaubwürdigkeit des ärztlichen Standesethos bereits jetzt erheblich beschädigt sei.

Unter der Überschrift Ärztliches Ethos braucht Mut statt Re-dogmatisierung spricht der HVD von einem Trauerspiel: http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/2011-5-13/presseerklaerung-humanistischer-verband-vom-135

Dafür kann bereits das halbherzigen Lavieren um eine lapidare Kompromissformel in den novellierten “Grundsätzen zur Sterbebegleitung” verantwortlich gemacht werden haben diese doch auf jedes Wort zu ethischen Sorgfaltskriterien für die ärztliche Suizidhilfe ängstlich verzichtet. Denn der Eindruck, diese etwa aufzuwerten, sollte natürlich unbedingt vermieden werden.

 

Ärzte für Suizid- und Sterbehilfe aus Gewissensgründen

Laut anonymer Befragung soll rund 1/3 aller Ärzte für die Möglichkeit der Suizidhilfe aus Gewissensgründen sein aber nur ganz wenige trauen sich den Mund aufzumachen.

Von der Öffentlichkeit bisher völlig unbeachtet geblieben ist die Internet-Initiative “www.prosterbehilfe.de” Berliner Ärzte, angeführt von den Urologen Prof. Dr. Kollwitz, Arnold und Simon, dem Kiefernchirurgen Prof. Dr. Hoffmeister sowie dem Orthopäden und Rheumatologen Dr. Talke.

Die Ärzte wenden sich dagegen, von Musterberufsordnungen, Recht, Ethik oder Ärztedeklarationen im individuell zu bewertenden Einzelfall drangsaliert und in ihrer Gewissensfreiheit verfassungswidrig eingeschränkt zu werden.

Kernsätze des öffentlichen Aufrufs “www.prosterbehilfe.de

Sie lauten:

Rigorosen Sterbehilfe-Gegnern zufolge soll auch über einem heute schon möglichen assistierten Suizid, der ja die freiverantwortliche Tatherrschaft des Patienten voraussetzt, das strafrechtliche Damoklesschwert einer `Tötung durch Unterlassen´ gemäß ärztlicher Garantenpflicht bestehen bleiben statt eine ärztliche, ggf. palliative Begleitung bis zum Tod zu ermöglichen.

Wir fordern in Deutschland nicht die Freigabe der Tötung auf Verlangen bzw. der direkten aktiven Sterbehilfe. Wir bekennen uns jedoch zu der empirisch nachweisbaren Tatsache, dass Leidlinderung, Schmerztherapie, Sterbehilfe und -begleitung als ärztliche Aufgaben nicht schematisch voneinander abzugrenzen, sondern ineinander verwoben sind.

Dabei ist Sterbehilfe … mit dem ärztlichen Ethos vereinbar und kann moralisch und ethisch darüber hinaus geboten sein.

Bitte unterstützen Sie, dass Sterbehilfe aus ärztlichen Gewissensgründen nicht länger verteufelt werden darf und soll.

Ihre Solidarität ist ein Votum, dass wir unsere Patienten, die sich in verzweifelter Lage vertrauensvoll an uns wenden, am Ende nicht im Stich lassen dürfen innerhalb und außerhalb palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen.

Dieser Aufruf ist unabhängig von Verbänden, Organisationen oder sonstigen Zugehörigkeiten entstanden. Er richtet sich in erster Linie an Ärztinnen und Ärzte sowie an professionell Pflegende aber da er jetzt öffentlich ist, auch an Einzelpersönlichkeiten und Vertreter aller Organisationen und Verbände, die ihn unterstützen möchten.

Quelle: www.prosterbehilfe.de

Es haben sich dort inzwischen über 600 Mitunterzeichner/innen mit ihrem öffentlich einsehbaren Namen angeschlossen.

 

Erweiterung des Aufrufs: Sterbe- und Suizidhilfegesetz 2011

Der Aufruf bereits vor dem Inkrafttreten des Patientenverfügungsgesetz ins Leben gerufen – wurde jetzt im Frühjahr 2011 aktualisiert durch den Zusatz: Unabhängig davon schlagen einige der Unterzeichner inzwischen diesen Gesetzentwurf 2011 vor.

Es handelt sich dabei um einen Referentenentwurf in Auftrag gegeben vom Humanistischen Verband Deutschlands. Er behandelt nicht nur die Suizidhilfe, sondern das ganze Spektrum der Sterbehilfe in dem ethischen Geiste, wie er o. g. ärztlichen Aufruf zum Ausdruck kommt.

Im Gesetzentwurf Sterbe- und Suizidhilfe 2011 heißt es u.a.

  • – in einem neuen § 215 StGB zu Leidensmindernden Maßnahmen: Auch eine nicht völlig unvermeidbare und unvorhersehbare todesbeschleunigende Nebenwirkung soll dann straffrei sein, wenn diese vom tödlich Kranken ausdrücklich einwilligend in Kauf genommen wurde.
  • – auch die Nicht-Hinderung einer Selbsttötung soll in einem neuen § 214 a StGB unter klar definierten Voraussetzungen als nicht rechtswidrig gelten.
  • – die Unterstützung einer “Selbsttötung aus Gewinnsucht” soll hingegen strafbar werden (§ 214 b neu), die Tötung auf Verlangen soll strafbar bleiben (§ 216 wie bisher).

Der strafrechtliche Teil des Gesetzentwurfs 2011 wird ergänzt durch Vorschläge

  • – für das ärztliche Standesrecht (Berufsordnung) zu Sorgfaltskriterien
  • – für ein Ordnungswidrichkeitengesetz, welches u. a. Dokumentationspflichten regelt
  • – für die Freigabe des Medikamentes Natrium-Pentobarbital im Betäubungsmittelrecht.

Siehe vollständig: http://prosterbehilfe.de/GesetzentwurfSterbe-undSuizidhilfe2011II.pdf

 

Alle diese ethisch ausgewogenen Vorschläge werden selbstverständlich vom Vorstand der Bundesärztekammer abgelehnt. Den überraschenden Rückzieher noch hinter die in den Grundsätzen vorgenommene geringfügige Lockerung zur ärztlichen Suizidhilfe begründete dieselben (!) dafür verantwortlichen Personen damit, man beuge sich moralischen Vorbehalten und dem Gegenwind von einzelnen Landesärztekammern. (Vor diesem sucht man offensichtlich Schutz bei der Oberautorität der Bischofskonferenz).

 

Haben Ärzte heutzutage wirklich so wenig Courage?

Dass die im Februar novellierte Aussage in den Grundsätzen in ihrer Halbherzigkeit keinen einzigen Arzt überzeugen konnte, ist allerdings kein Wunder. Ärzte mussten sich von ihrer Kammer völlig allein gelassen fühlen durften sie dieser zufolge doch allenfalls in der Freizeit heimlich ihrem privaten Gewissen folgen. Nun soll selbst das standesrechtlich wieder nicht mehr erlaubt sein sofern der Ärztetag der neuen BÄK-Vorlage zustimmt.

Als Folge wäre absehbar, dass sich suizidwillige Schwerkranke vermehrt an Organisationen zu wenden hätten, von denen sie zumindest annehmen dürfen, dass sie Ansprechpartner dort nicht in eine Bredouille bringen. Den eigenen Arzt anzusprechen, verbietet sich demgegenüber, will man ihn nicht unnötig belasten. Die Bundesärztekammer muss sich fragen lassen, ob sie sich so das Vertrauensverhältnis des schwerkranken Patienten zu seinem Arzt wünscht und vorstellt.

Leider sind nur ganz wenige Ärzte bereit, in der Öffentlichkeit dagegen aufzubegehren und Farbe zu bekennen. Deren Mangel an Courage wiederum geht soweit, dass sie auch unter absoluter Wahrung ihrer Anonymität der Anfrage namhafter Medien lieber eine Absage erteilen. (Sollte sich eine Ärztin oder ein Arzt angesichts der jüngsten Vorfälle doch noch anders besinnen, steht die Vermittlungsadresse mail@patientenverfuegung.de dafür weiterhin zur Verfügung).

Eine Ausnahmeerscheinung ist der Rettungsmediziner und Buchautor (Wie wollen wir sterben?) Dr. Michael de Ridder. Seine der Patientenverfügung-newsletter-Redaktion bereits vorab vorliegende Stellungnahme wird nächste Woche veröffentlicht.

Eine Stellungnahme zur Veröffentlichung eingereicht hat der Privatdozent und Neurologe Dr. Johann F. Spittler, die hier zu finden ist: http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/2011-5-11/assistierter-suizid-und-aerztliche-berufsordnung-anlaesslich-des-dt-aerztet