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Revision gegen Freispruch von Dr. Spittler beim BGH eingereicht

15. Feb 2018
Gita Neumann, Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung

Gita Neumann Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

 

Der Arzt und Suizidhelfer Dr. Spittler war im November 2017 aufgrund erwiesener Unschuld freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist nun in Revision gegangen – mit absurd anmutenden Manipulationsvorwürfen in Analogie zum sogenannten Enkeltrick.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Prozess vor dem Hamburger Landgericht sieben Jahre Haft gefordert und nach dem Urteil des Großen Strafsenats im November 2017 vorsorglich Revision angemeldet. Die hat sie nunmehr tatsächlich beim Bundesgerichtshof eingelegt. Was treibt Staatsanwält_innen an, einen unbescholtenen Arzt auch nach dem Freispruch der Strafkammer des Hamburger Landgerichts (wir berichteten ausführlich) unbedingt doch hinter Gitter bringen zu wollen?

Zur Erinnerung: Die Hamburger Seniorinnen Elisabeth W. (85) und Ingeborg M. (81) waren beide verwitwet und kinderlos, wohnten seit 1994 wie Schwestern zusammen. Sie waren zwar nicht tödlich erkrankt, aber nach eigenen Aussagen des Lebens müde, litten an zahlreichen Altersbeschwerden und wollten sich weiteren Risiken der Verschlechterung und einer Pflegeheimsituation nicht aussetzen. Auf ihre ausdrückliche Bitte und nachhaltige Willensbildung hin baten sie Dr. Spittler (75), sie bei ihrem gemeinsamen Freitod zu begleiten. Die beiden Seniorinnen starben friedlich in seinem Beisein im November 2012 nach Einnahme eines Tablettencocktails.

Auszug aus der juristisch präzisen Urteilsbegründung

Im Hauptvorwurf wurde Dr. Spittler zur Last gelegt, sich einer Unterlassungstat schuldig gemacht zu haben, die zum Tode führte. Es ging darum, dass er keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet beziehungsweise veranlasst hatte. Sobald die Frauen bewusstlos geworden waren, so meint die Staatsanwaltschaft, sei er dazu nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1987 verpflichtet gewesen. Diese frühere Strafrechtsauffassung widerspricht heutzutage allerdings der zivilrechtlichen Gesetzgebung zur Verbindlichkeit einer unmissverständlichen Patientenverfügung. Entgegen dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft erfolgte deshalb erwartungsgemäß der Freispruch.

Die Strafkammer des Landgerichts Hamburg begründete die Freispruchentscheidung vom 8. November 2017 u. a. wie folgt (das vollständige Dokument können Sie hier herunterladen):

“[…] Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen von dem Vorwurf der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen i.S.d. §§ 216 […] 13 Abs. 1 StGB freizusprechen. […] Er wusste zwar, dass die Frauen infolge der Einnahme der Überdosis Ch […] sterben würden und wollte dies auch zulassen. […] Ihn traf jedoch – unabhängig von dem Bestehen einer möglichen Garantenstellung – im Hinblick auf ihren freiverantwortlichen Suizid weder objektiv noch subjektiv eine Pflicht zur Abwendung ihres Todes. An der Freiverantwortlichkeit hatte der Angeklagte auch keinen Zweifel. […] Hinzu kommt, dass es keinen Grund dafür gibt, im Falle einer freiverantwortlichen Selbsttötung das Selbstbestimmungsrecht dadurch auszuhebeln, dass der Garant verpflichtet wird, den gewollten Suizid nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit zu verhindern. Ein einheitliches Geschehen würde hierdurch wertungswidersprüchlich in einen straflosen und einen strafbaren Teil aufgespalten.”

Auszug aus der plumpen Revisionsbegründung

Doch dagegen hat die Hamburger Staatsanwaltschaft Revision beantragt. Dabei wird ein Konstrukt für eine Anklage hervorgehoben, welches das Landgericht zu oberflächlich behandelt haben soll. Der Vorwurf lautet nun Totschlag in mittelbarer Täterschaft (§§ 212, 25 StGB). Das heißt, dass nicht die beiden Seniorinnen, sondern der ihren Suizid begleitende Arzt manipulativ die Tatherrschaft über die Tötung ausgeübt habe – wenngleich die Ausführung bei ihnen gelegen hat. Das Wort Selbsttötung setzt die Staatsanwaltschaft in ihrem Begründungsschreiben für die Revision folglich in Anführungszeichen (s.u.).

Das vom leitenden Hamburger Oberstaatsanwalt Dr. Brandt unterzeichnete Begründungsschreiben vom 1. Februar 2018 (liegt der Redaktion vor) argumentiert u.a. gegen den erfolgten Freispruch Spittlers wie folgt:

“Mag aufgrund äußerer Umstände zunächst noch der Wille der 85-jährigen und 81-jährigen Frauen geäußert worden sein, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, so gab es für sie spätestens in der konkreten Tatsituation kaum noch eine reelle Möglichkeit, ihren nunmehr von anderen `durchinszenierten´ Suizid ohne nachhaltigen Gesichtsverlust wieder `abzubestellen´. Immerhin hatte der Angeklagte schon unter beachtlichem Aufwand ein Gutachten über deren suizidbezogene Einsichts- und Urteilsfähigkeit erstellt und war am Tattag extra von seinem Wohnort … angereist. Er hatte sich `uneigennützig´ an der präzisen `Selbsttötung´ beteiligt … Während dessen führte er quasi wie ein `Controller´ akribisch über jede Phase des Suizidprogramms Buch. Ein solches Verhalten kombiniert mit der permanenten Anwesenheit des Angeklagten in der Wohnung der beiden Frauen dürfte nachvollziehbar einen so starken Handlungsdruck erzeugt haben, dass es schon einer außerordentlichen persönlichen Anstrengung bedurft hätte, um sich letztendlich doch noch von einem potentiellen Suizidentschluss zu lösen. […] Zahlreiche Beispiele aus anderen Kriminalitätsfeldern, u.a. sogenannter Enkeltrickfälle, belegen, dass selbst körperlich robuste Senioren […] sich durch dominantes Auftreten Dritter – wie des Angeklagten – leicht manipulieren lassen.”

Gemeinschaftliche Aufgabenstellung

Nun mögen solche staatsanwaltlichen Auslassungen absurd erscheinen gegenüber der juristisch präzisen und ausführlichen Urteilsbegründung für den Freispruch. Das Niveau der staatsanwaltlichen Revisionsbegründung entspricht eher Ressentiments und Anfeindungen gegenüber Sterbehelfer_innen, wie sie Bundesärztekammerpräsident Prof. Frank Ulrich Montgomery gern von sich gibt. Dieser war es auch, welcher öffentlich die Hamburger Staatsanwaltschaft auf seiner eigenen Homepage aufforderte, dafür zu sorgen, dass der ärztliche Sterbehelfer Spittler “streng bestraft” wird. Die beiden Frauen hätten “lediglich Zukunftsängste” gehabt und hätten “niemanden zu Last fallen” wollen. Die Aufgabe, sich diesem Problem zu stellen, sei “eine gesamtgesellschaftliche”, heißt es dort.

Ob sich der Bundesgerichtshof Montgomerys Mantra “Ärzte sollen Hilfe beim Sterben leisten, aber nicht zum Sterben” beeinflussen lassen wird, darf bezweifelt werden. Tatsächlich bleibt es eine Aufgabe, dem sich eine Gemeinschaft von möglichen Sponsoren stellen müsste, statt es den betroffenen Ärzten zur Last werden zu lassen, die Bundesverfassungsgerichtsurteile ausfechten: Selbst bei Freispruch bleiben sie auf Anwaltskosten bis zu einem mittleren fünfstelligen Bereich sitzen. Sollte sich ein unterstützungswilliger Sympathisant angesprochen fühlen: Bitte bei der Autorin dieses Beitrags melden.

Im Parallelfall des Berliner Arztes Dr. Turowski ist für den 8. März das Strafgerichtsurteil angekündigt. Einen Bericht von den bisherigen Prozesstagen können Sie hier lesen.