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Suizid auch für Kirchen kein Tabu mehr – Welttag zur Vorbeugung (Prävention)

10. Sep 2013

INHALT:

1.) Zum Suizidpräventionstag Ausmaß der Verzweiflung Rat von Expert/-innen

2.) Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidhilfe eine ganz andere Welt?

3.) Meldung: Ehemann wegen in den Niederlanden verbotener Beihilfe zum Suizid angeklagt

 

1.) Zum Suizidpräventionstag Rat u.a. von Referentin für Humanistische Lebenshilfe

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2003 erstmals den 10. September als Welttag der Suizidprävention ausgerufen. Seitdem finden jährlich an diesem Tag Veranstaltungen statt, die vorwiegend von Organisationen aus dem Gesundheitsbereich bzw. der Suizidprävention veranstaltet werden. Die WHO begründet die Ausrufung dieses Aktionstages damit, dass Suizid eines der größten Gesundheitsprobleme der Welt” darstelle.

Die Ursachen für Selbsttötungen und Suizidversuche sind in Deutschland äußerst vielfältig: Sie reichen von Depressionen und soziale Isolation über scheinbar unlösbare Lebenskrisen in Kindheit und Jugend bis hin zu Auslösern in hohen Alter oder in der Arbeitswelt. Im letzten Fall spielen chronische Überforderung, kollegiale Ausgrenzung oder öffentliche Verleumdung eine besondere Rolle, vor allem wenn es um sensible, idealistische oder auch sehr ehrgeizige Menschen geht, die sich dem Druck nicht mehr gewachsen sehen. Hier kann frühzeitige Prävention beispielsweise darin bestehen, Führungskräfte und Teams in ihrem Stressmanagement zu schulen und ihnen Strategien an die Hand zu geben, kritische Überforderung rechtzeitig entgegen zu wirken.

Im Jahr 2011 – neuere Zahlen liegen nicht vor – nahmen sich in Deutschland offizell (!) 10.144 Menschen das Leben, davon waren 7.646 Männer, wobei von einer erheblichen (!) Dunkelziffer von Todesfällen auszugehen ist, die als Suizid unentdeckt blieben. Besonders im Alter steigt das Suizidrisiko deutlich an. Die Tatsache, dass in der Bevölkerung mehr Ältere und damit mehr Suizidgefährdete leben, führt am Ende dazu, dass die absolute Zahl der Menschen, die sich selbst töten, steigt.

Besonders ältere Männer sind gefährdet

Dass besonders ältere Männer stark suizidgefährdet sind, liegt nach Meinung von Barbara Schneider, Chefärztin an der LVR-Klinik in Köln, auch daran, dass Männer es tendenziell eher nicht zulassen könnten, Schwäche zu zeigen. Auch seien Frauen eher in der Lage, sich ein soziales Netz aufzubauen. Die Berichterstattung in den Medien, wonach das Leben in einem Pflegeheim oft sehr negativ dargestellt werde, führe zudem dazu, dass sich Ältere sehr vor der Pflegebedürftigkeit fürchteten, sagte Schmidtke. Hinzu kämen Medienberichte über die Suizide Prominenter, die oft Nachahmungen nach sich zögen. In Deutschland brächten sich im Schnitt etwa zwei bis drei Personen pro Tag auf den Gleisen” um. Quelle: http://www.taz.de/Suizide-nehmen-zu-/!123433/

Alle Menschen in sozialen Kontexten ob in Bekanntschaft, Familie, Einrichtungen, Vereinen, Gemeinden sind aufgefordert, sich der Thematik zu stellen. Es ist unbedingt ernst zu nehmen, wenn jemand Suizidgedanken äußert oder unterschwellig erkennen lässt, rät die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Wenn immer möglich, sollte darauf mit reagiert werden, indem aktiv zugehört” wird. Dr. Reinhard Lindner von der DGS fasst zusammen, worauf es dann vor allem ankommt: “Nehmen Sie sich Zeit für das Gespräch. Verfallen Sie bitte nicht in Angst und Schrecken, sondern geben Sie Ihrem Gegenüber Raum, die Dinge, die ihn belasten, klar auszusprechen. Dann können Sie nachfragen, was den anderen bindet, mit wem er oder sie sich wohlfühlt und jetzt gerne zusammen sein möchte. Das kann ein Mensch sein oder manchmal auch ein Haustier. Jede gute Bindung ist hilfreich.”

Rat von der Referentin Lebenshilfe im Humanistischen Verband 

Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) rät allen die sich mit einem suizidgefährdeten Menschen konfrontiert sehen:  Als nahestehende oder ausgewählte Vertrauensperson können und sollten Sie natürlich auch fragen, welche Hilfestellung Sie selbst jetzt geben können. Sie sollten in jedem Fall signalisieren, dass Sie die Gesprächsbereitschaft des Suizidgefährdeten positiv sehen auch wenn Sie sich dadurch verständlicherseise selbst eher belastet fühlen. Zu Ihrer eigenen Entlastung sollten Sie sich vergewissern, dass der Ratsuchende sich auch noch anderen Ansprechpartnern anvertrauen kann.”
Die Referentin Lebenshilfe im HVD weist darauf hin: In der Praxis des HVD wird außerdem versucht, mit dem Menschen, der daran denkt sich zu töten, eine Abmachung zu treffen, dies nicht zu tun, bevor er nochmals mit uns gesprochen hat. Nicht jeder Suizid kann verhindert werden. Aber Menschen, die zuhören können sowie menschenfreundliche Lebens- und Arbeitsbedingungen helfen, das Risiko für Verzweiflungstaten zu senken.”
Als erschreckend empfindet Gita Neumann, dass immer wieder auch das nächste Umfeld keine Ahnung von einer Suizidabsicht hat. Denn die Betroffenen vermögen diese am Ende geschickt zu verbergen und/oder haben vorher nur so verschlüsselte Andeutungen hervorgebracht, die als Signale kaum verstanden werden konnten. Daraus darf insbesondere Trauernden natürlich kein (auch nur unterschwelliger) Vorwurf gemacht werden, zumal sie sich ja eh mit diesen Selbstvorwürfen und Grübeleien quälen, wie sich in unserer Trauerhilfe massiv zeigt.”

Ein typischer Fall: Petra K. kann sich noch gut erinnern, wie es ihr ging, als sie erfahren hat, dass ihre Mutter mit 65 Jahren 2006 vor eine Bahn gesprungen ist. Meine Mutter litt zwar unter einer psychischen Erkrankung, aber damit hatte keiner aus unserer Familie gerechnet. Ich stand unter Schock und konnte mich nicht mehr von meiner Mutter verabschieden. Stattdessen wurde ich mit der Polizei und den Fragen und Kommentaren der Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunden konfrontiert. Trauern konnte ich erst viel später mit Unterstützung einer Selbsthilfe-Gruppe”, sagt sie. Auch Petra K, möchte andere Betroffene ermutigen möchte, selbstbewusst mit dem Tabu umzugehen und darüber zu sprechen. Quelle

Die Zeiten der Verdrängung oder Missachtung sind ein für alle mal vorbei auch für die Kirchen. Pfarrerin Barbara Schwahn, Leiterin der Abteilung Seelsorge im Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf, verweist darauf, dass Suizid kein Tabu mehr für die Kirche ist”. Seelsorgerinnen und Seelsorger bieten zahlreiche Gesprächsangebote im Bereich der Klinikseelsorge, der Notfallseelsorge, in den Kirchengemeinden und in der Telefonseelsorge. Siehe:  Suizid ist kein Tabu mehr”  Auch die Deutsche Bischofskonferenz weist auf den unverzichtbaren Beitrag der ehrenamtlichen Telefonseelsorge, die rund um die Uhr erreichbar ist, hin: http://www.dbk.de/presse/

Ausbilder in der Telefonseelsorge – wie z. B. der Psychiater Dr. K., der ansonsten hier anonym bleiben soll vertreten die Auffassung, dass es auch dort darum gehen muss. den Druck” aus dem Gespräch herauszunehmen. Dies sei – so zumindest Dr. K. – nur möglich bei einer grundsätzlich akzeptierenden Haltung auch dem Suizid gegenüber.

 

2.) (Ärztliche) Suizidhilfe und Suizidverhütung ganz andere Welten?

Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidhilfe der Arbeitsgruppe Ethik am Lebensende” in der Akademie für Ethik

Wie verhält es sich nun aber mit dem extremen anderen Ende” der Suizidproblematik, dem Begehren nach Suizidhilfe? Sind das zwei völlig verschiedene Betroffenengruppen und gegensätzliche Welten? Hier der Schock von Angehörigen und die Bemühungen um Suizidverhütung auch mit Zwangsmitteln dort die sogar in Aussicht gestellte (ärztliche) Hilfe und Begleitung eines Suizids bei Schwerkranke? Könnten diese Gegensätze unvereinbarer sein?

Dazu noch einmal Gita Neumann vom HVD: Das scheint auf den ersten Blick natürlich so. In Wirklichkeit stellen die lebensbejahen Grundeinstellung zur Suizidvermeidung und begleitende Beiträge zu einer möglichen Suizidhilfe jedoch keine Gegensätze dar. Sie haben wie heute allgemein anerkannt wird viele Gemeinsamkeiten: Tabuisieren, Verleugnen oder Druck ausüben helfen dem Hilfesuchenden in seiner existentiellen Notsituation nicht. Vielmehr muss zu ihm in allen Fällen eine vertrauensvolle, ehrliche und verlässliche Beziehung aufgebaut, müssen Möglichkeiten zum Leben oder zu einem natürlichen Sterben aufgezeigt werden. Diese sind freilich nicht unzulässig zu beschönigen Ängste, Konflikte und Leiden des Patienten sind unbedingt ernst zu nehmen.

Auf einen geäußerten Suizid(hilfe)wunsch reagieren wir als Ärzte, Angehörige, Pflegekräfte, Seelsorger und ehrenamtliche Mitarbeiter gern mit dem Satz Das darf ich nicht, es ist gesetzlich verboten”. Dies ist zwar verständlich (und auch am bequemsten”, um sich mit dem Ausmaß an Verzweiflung nicht weiter beschäftigen zu müssen), allerdings juristisch unkorrekt. Als jeweils um Hilfe Angesprochener bin ich allerdings bei der Frage, wie weit ich bei einer Suizidbegleitung mitzugehen bereit bin, nicht nur dem eigenen Gewissen verpflichtet. Sondern ich sehe mich in verschiedenen Verantwortungsverhältnissen etwa meinem Berufsstand, Arbeitgeber, meiner Familie, Religion, Philosophie oder auch der Gesellschaft gegenüber. Fertige Antworten verbieten sich, Kriterien zur Strukturierung der eigenen Urteilsbildung sind von Nöten.”

Um diese Position einzubringen, ist die Vertreterin des Humanistischen Verbands als Podiumsteilnehmerin am 12. November in der Katholischen Fachhochschule für Sozialarbeit in Berlin eingeladen.

Bei den Kriterien zur Strukturierung der eigenen Urteilsbildung in der Suizidhilfefrage sei verwiesen auf:

  • den Sammelband “Suizidhilfe als Herausforderung” zu bestellen hier im ALIBRI-Verlag 
  • das interdisziplinäre Arbeitspapier (komplett als Download bei Springer verfügbar) einer AG der Akademie für Ethik in der Medizin e.V.

Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidhilfe
Arbeitsgruppe Ethik am Lebensende” in der Akademie für Ethik
in der Medizin e.V. (AEM) von:
Gerald Neitzke · Michael Coors · Wolf Diemer ·
Peter Holtappels · Johann F. Spittler · Dietrich Wördehoff

http://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00481-013-0256-6.pdf

 

3.) Ehemann in den Niederlanden wegen dort verbotener Beihilfe zum Suizid angeklagt

Wie sehr die gegenwärtige Debatte von Missverständnissen und Fehleinschätzungen geprägt ist, mag die folgende Meldung zeigen: In den angeblich so liberalen Niederlanden ist die Suizidhilfe für Nicht-Ärzte bei hoher Strafandrohung verboten (anders als in Deutschland, wo Suizidhilfe bei einem Freiwillensfähigen prinzipiell für jeden straffrei ist!):

http://aktuell.evangelisch.de/artikel/88098/niederlande-mann-wegen-sterbehilfe-angeklagt