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Suizidhilfeverbot für Ärzte auf der Kippe Verwaltungsgerichtsentscheid von heute

30. Mrz 2012
  1. Berliner Verwaltungsgericht kippt generelles Suizidverbot durch Standesrecht 
  2. Humanistischer Verband erfreut über Niederlage des BÄK-Präsidenten
  3. Auch in der Ärzteschaft organisiert sich Widerstand gegen Suizidverbot
  • Stellungnahme von Dr. M. Strätling und jüngstes Vorgehen LÄK Schleswig-Holstein
  • Humanistischer Verband leistet praktische Unterstützung (Musterbrief an LÄK für Ärzte)

 

1. Suizidhilfeverbot für Ärzte auf der Kippe Verwaltungsgerichtsentscheid von heute

 Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Entscheid von heute, 30.3.2012, das generelle Suizidhilfeverbot für Ärzte durch eine Landesärztekammer für unzulässig erklärt. Der Fall eines Arztes, der vor dem Verwaltungsgericht Berlin die genannte Ausnahmeregelung erstritt, wurde von Rechtsanwalt Dieter Gräfe von der Anwaltskanzlei Wollmann & Partner vertreten. 

Gegen den betroffenen Arzt hatte die Berliner Ärztekammer wegen Suizidhilfeaktivitäten Sanktionen (Verbot) verhängen wollen, wogegen er beim Verwaltungsgericht (Aktenzeichen VG 9 K 63.09) nunmehr erfolgreich Einspruch erhob. Die folgende Presseerklärung der Rechtsanwaltskanzlei wurde von ihm eben an den Patientenverfügung-newsletter übermittelt:  

  

Das von der Bundesärztekammer in ihrer Muster-Berufsordnung festgelegte strikte Verbot für Ärzte, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, ist heute in einem von der Anwaltskanzlei Wollmann & Partner in Berlin geführten Musterprozess durch das Verwaltungsgericht Berlin gekippt worden.

Nach dieser heutigen Entscheidung ist ein derartiges generelles und ausnahmsloses Verbot mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Es muss Ärzten gestattet sein, in Ausnahmefällen eine ihrem Gewissen entsprechende Entscheidung zu treffen, die von diesem Verbot abweicht. Dies bedeutet, dass Ärzte in Ausnahmefällen Beihilfe zum Suizid leisten dürfen, ohne damit gegen das Berufsrecht zu verstoßen.

Ansprechpartner für die Presse: RA Dieter Gräfe, Wollmann & Partner GbR, Meinekestr. 22, 10719 Berlin, Tel. 030 884109-95, Mobil: 0171 9553210, www.wollmann.de

 

 

2. Kommentar: Humanistischer Verband erfreut über Niederlage von Bundesärztekammerpräsident

 

Die Beauftragte des HVD-Bund, Gita Neumann, sieht damit Weichen für die Zukunft gestellt:

Grundlegende Bedingung für eine standesrechtliche Zulässigkeit wäre somit, dass der helfende Arzt zum Patienten bzw. Suizidwilligen vorher ein gutes Bekanntschafts- bzw. ein Freundschafts- oder gar Verwandtschaftsverhältnis hat. Das geht in eine ähnliche Richtung wie der vorgelegte Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierung. Dieser will klarstellen, dass in Zukunft die gewerbsmäßige Suizidhilfe in Zukunft strafbar sein soll. Die altruistische, d.h. nicht selbstsüchtige Hilfe zum Suizid von Freiwillensfähigen, auch wenn sie von Ärzten mehrfach (und damit quasi durchaus geschäftsmäßig, aber ohne Gewinnerzielungsabsicht) geleistet würde, ist demnach sowohl straf- als auch standesrechtlich zulässig. Darüber hinaus wünschenwert und erforderlich wäre allerdings die ausdrückliche Klarstellung im Strafrecht, dass die Hilfe und anschließende Nicht-Rettung bei freiwillensfähigem und nachdrücklichem Suizidbegehren eines Volljährigen nicht rechtswidrig ist. Immerhin erfreulich: Durch das Berliner Verwaltungsrechtsurteil hat der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, der Hauptverfechter eines generellen Suizidverbots für Ärzte, eine wohlverdiente herbe Niederlage erlitten.

  

3) In der Ärzteschaft organisiert sich Widerstand gegen Verbot der Suizidbeihilfe auch bei schwerem Leid

Die Deutsche Bundesärztekammer (BÄK)  betreibt derzeit bekanntlich eine Initiative, den (ärztlich) assistierten Suizid im Wege des Berufsrechts verbieten zu lassen: Gemäß § 16 der neuen Muster-Berufsordnung drohen Ärzten zukünftig erhebliche, potenziell existenzgefährdende Sanktionen, falls sie Patienten – selbst bei schwersten Leidenszuständen am Lebensende – Suizidbeihilfe leisten. Ansonsten ist der assistierte Suizid in Deutschland aus guten Gründen generell straffrei. Auch berufsrechtlich wurde er bisher stets toleriert. Die breite Mehrheit der Öffentlichkeit und der Ärzteschaft stehen dem Phänomen ebenfalls eher positiv oder zumindest duldsam gegenüber.

Vor diesem Hintergrund haben in der jüngeren Vergangenheit bereits zwei der größten Deutschen Landesärztekammern (Bayern und Westfalen-Lippe) der Bundesärztekammer unter ihrem Präsidenten Dr. Frank Ulrich Montgomery die Gefolgschaft versagt und deren Empfehlung gar nicht (in Bayern) oder nur in abgeschwächter Form (als Soll-Nicht-Formulierung in NRW) ins Berufsrecht aufgenommen. Bislang haben nur die Landesärztekammern Sachsen und Niedersachsen die vom BÄK vorgeschlagenen Restriktionen in ihre Berufsordnungen wörtlich übernommen. Dabei kann allein die Einschränkung in ihrer jeweiligen Landes-Berufsordnung für Ärzte zu Sanktionen führen – die Bundesärztekammer vermag nur  Empfehlungen auszusprechen.

 

Stellungnahme von Dr. M. Strätling jüngstes erfreuliches Beispiel Schleswig-Holstein

Ein weiteres, erfreuliches Beispiel für einen differenzierten Umgang mit dieser Problematik hat nun in dieser Woche auch die Ärztekammer Schleswig-Holstein gesetzt:

Während der Kammerversammlung am Mittwoch, den 28. März 2012 in Bad Segeberg, wurde praktisch einstimmig beschlossen, eine ursprünglich geplante Abstimmung über ein berufsrechtliches Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe von der Tagungsordnung zu nehmen.

Ausschlaggebend hierfür war u.a. ein von einigen Ärzten bereits im Vorfeld formell eingereichter Widerspruch bei der Kammer und der Landesregierung gegen eine entsprechende Berufsrechtsänderung. Auch die Einlegung weiterer Rechtsmittel wurde vorbehalten.

Zur sachlichen Begründung dieses Widerspruchs wurde v.a. auf eine umfangreiche wissenschaftliche Stellungnahme eines ebenfalls aus Schleswig-Holstein stammenden Anästhesisten und Medizin-Ethikers, Dr. Meinolfus Strätling, verwiesen. Der Autor führt darin den Nachweis, dass die angestrebte, drastische Verschärfung des ärztlichen Berufsrechts in Bezug auf den assistierten Suizid schon aus ethischer und medizinischer Sicht objektiv unbegründet ist. Auch ihre (verfassungs)rechtliche Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit sowie ihre praktische Durchsetzbarkeit wird in Frage gestellt.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass auch die breite Mehrheit der weiteren Stellungnahmen während der Kammerversammlung einem kategorischen Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe eher ablehnend gegenüber standen, wie dem Patientenverfügung-newsletter aus dem Kreis der Diskussionsteilnehmer berichtet wurde. Nach deren Einschätzung zeichnet sich ab, dass wahrscheinlich auch die Ärztekammer Schleswig-Holstein und ihre Mitglieder für einen deutlich differenzierteren Umgang mit dieser Frage votieren werden, als derzeit von der Bundesärztekammer empfohlen. Der genaue Inhalt und Wortlaut ihrer Empfehlungen wird in den kommenden Wochen Gegenstand  weiterer Konsultationen sein. Auf deren Grundlage sollen Kompromissvorschläge ausgearbeitet werden sollen, die dem in dieser Frage bestehenden Pluralismus ausreichend Rechnung tragen.

 

Humanistische Verband Deutschlands unterstützt ärztliches Engagement gegen LÄK u. a. durch Musterbrief

In den nächsten Wochen und Monaten werden auch noch andere Landesärztekammern und ihre Mitglieder entscheiden müssen, wie sie sich zukünftig grundsätzlich zur Frage des begleiteten Freitods im Rahmen einer ärztlichen Gewissensentscheidung positionieren. Die erwähnte Stellungnahme von Strätling, mit der einem undifferenzierten Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe auf wissenschaftlicher Grundlage widersprochen wird, kann kostenfrei von der Zentralstelle Patientenverfügung des HVD heruntergeladen werden:

http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/2012-3-30/pd-dr-m-straetling-warum-die-aerztekammern-der-laender-ein-berufsrechtliche

 

Es handelt sich um die vorläufige Kurzversion eines Beitrags, der im September erscheinen wird unter:

Strätling M., Assistierter Suizid Grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe ?

In: Gita Neumann (Hrsg.), Suizidhilfe als Herausforderung,

Aschaffenburg: Alibri Verlag 2012 (Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 5), ISBN 978-3-86569-084-5.

 

Zum Vormerken: PD Dr. Meinolfus Strätling wird das Grundsatzreferat bei der Suizidhilfe-Tagung der Humanistischen Akademie (in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung) am 12. Oktober 2012, 18 Uhr in Berlin halten. Am zweiten Tagungstag, dem 13, Oktober, wird es eine Debatte mit einer Vertreterin / einem Vertreter der Bundesärztekammer geben.    

 

Für Ärzte, die sich zudem mit dem Gedanken tragen, sich ebenfalls in ihrem Kammerbezirk gegen ein geplantes (oder ggf. bereits beschlossenes) berufsrechtliches Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe zu engagieren, kann zudem, als erster Schritt, eine Mustervorlage zur formellen Einreichung eines Widerspruchs bei ihrer Kammer und den zuständigen Landesbehörden verfügbar gemacht werden:

http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/2012-3-30/musterbrief-fuer-vorsorglichen-widerspruch-gegen-laek-bei-uebernahme-des-16