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Wie geht es weiter mit Dr. Turowski?

27. Mrz 2018

Der Berliner Arzt Dr. Turowski (68) wurde wegen Suizid- beziehungsweise Sterbehilfe angeklagt und schließlich freigesprochen. Wie sind die Reaktionen? Wie könnte die Staatsanwaltschaft ihre angekündigte Revision begründen? Wie ist die persönliche Situation des Arztes?

Gita Neumann
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

Am 18. Februar 2013 empfing Dr. Christoph Turowski eine SMS seiner Patientin Anja D. (44): „Danke dir. Alles geschluckt“. Zum damaligen Zeitpunkt unterhielt der später Beschuldigte, ein besonnener und ruhiger Hausarzt, eine Praxis in Berlin-Steglitz. Seine Patientenzahl hatte er bewusst klein gehalten, um sich für sie, die er teils jahrzehntelang kannte, Zeit zu nehmen. Reich wird man dabei nicht. Anja D. kam 13 Jahre vor ihrem Suizid zum ersten Mal in seine Sprechstunde, längst war er für sie zum Vertrauten geworden. Sie litt unter einem unheilbaren, sehr schweren Reizdarmsyndrom, vermutlich ausgelöst durch eine Salmonellenvergiftung, als sie sechzehn Jahre alt war.

Die Staatsanwaltschaft wertete – zusammen mit anderen Vorwürfen – diese SMS nach Suizidversuch als „Hilferuf“, welcher Rettungsmaßnahmen erforderlich gemacht hätte. Das Gericht folgte dieser Bewertung nicht. Am neunten Prozesstag die Urteilsverkündung:

„Der Angeklagte wird freigesprochen.“ Dieser Satz wurde mit sichtbarer Erleichterung aufgenommen – nicht nur von Dr. Turowski und seinen beiden Verteidigern, sondern auch von den zahlreichen Zuhörer_innen im Berliner Landgericht, die ihm Beifall und Hochachtung bekundeten. Dabei war der Freispruch nicht selbstverständlich zu erwarten. Der Prozess hatte für große Medienaufmerksamkeit gesorgt. Allgemein wurde weitgehend positiv und wohlwollend über Dr. Turowski und seinen Freispruch berichtet (wir berichteten).

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat dagegen inzwischen Revision angemeldet

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen bei Gericht angemeldet, gegen den Freispruch Revision beim Bundesgerichtshof  (BGH) einzulegen. Immerhin könnte dadurch, wenn der BGH die Frage der Unterlassung von Hilfe beim freiwillensfähigen Suizidenten neu aufrollt, endlich das alte BGH-Urteil von 1984 revidiert werden

Glückwünsche von Palliativmedizinern Thöns und Borasio

Dr. Turowski – inzwischen berentet – erhielt zum Freispruch persönliche Glückwünsche von früheren Patient_innen, ärztlichen Kolleg_innen und auch einigen prominenten Palliativmedizinern. Besonders gefreut hat er sich über den Zuspruch von Dr. Matthias Thöns, Autor des Buches „Patient ohne Verfügung“, sowie von Professor Dr. Gian Domenico Borasio, Autor der Bücher „Über das Sterben“ und „Selbstbestimmt sterben“, Palliativmediziner und Kritiker des Suizidhilfeparagrafen 217 im Strafgesetzbuch.

In einem sehr persönlichen Interview (https://hpd.de/artikel/weil-ich-dem-erklaerten-patientenwillen-gemaess-gehandelt-habe-15366) vom 13. März bemerkte Dr. Turowski, dass es zu seinem Erstaunen und Bedauern bisher keine offizielle Resonanz in der Fachwelt gegeben hätte – weder von medizinischen Zeitschriften, Fachverbänden, Berufsgruppen oder Ärztekammern. Dabei handele es sich doch, so Turowski, „um ein brennendes Problem, das die gesamte Ärzteschaft angeht und etlichen auch unter den Nägeln brennt.“ Verschärfend in Bezug auf seinen ja älteren Fall würde der inzwischen neue Paragraph 217 StGB wirken, das Suizidhilfeverbotsgesetz. Es bedeute „einen gewaltigen Rückschritt in der Gesetzgebung und bedroht potentiell jeden einfühlsamen Arzt. Es treibt die verzweifelten Menschen in einen unwürdigen, einsamen Gewaltsuizid, weil ihnen Hilfe, ja schon ein vertrauliches Gespräch von ärztlicher Seite verwehrt werden muss.“

Immerhin hat das online-Magazin aerztezeitung.de/extras eine Umfrage gestartet. Ärzt_innen wurde anhand des Falles ihres Kollegen Turowski die Frage gestellt, ob sie, ähnlich wie der Berliner Mediziner, auch schon von Patient_innen auf Sterbehilfe angesprochen worden wären. Das nicht repräsentative Ergebnis: Circa 55 % der ärztlichen Leserschaft beantworten die Frage mit „ja häufig (bis zu 10 mal)“ oder darüber hinaus sogar mit „zunehmend häufig“, etwa 30 % mit „selten“ und nur gut 12 % mit „nie“.

Erst medienscheu, dann kämpferisch

Dr. Turowski bezeichnet sich selbst als öffentlichkeits- und erst recht kamerascheu. Dem Medieninteresse habe er sich aber um der Sache Willen gestellt:

„Ich wurde wider Willen in die Öffentlichkeit gezerrt und kämpfe jetzt aufgrund meiner Erfahrung mit dem Rechtssystem – auch für die Gesamtärzteschaft – für eine Liberalisierung der Suizidhilfe in solchen, zum Glück sehr seltenen, verzweifelten Fällen. … Ich möchte den ärztlichen Kolleginnen und Kolleginnen aufgrund der für mich sehr tragischen Erfahrung klar machen, wie schnell wir – vor allem durch die seitdem ja verschärfte Rechtslage durch § 217 StGB – völlig unschuldig in eine solche Situation geraten können. Dies reicht von den ersten Ermittlungen über die Praxisdurchsuchung bis hin zur Anklage als Krimineller mit enormen Kosten. Und das nur, weil wir unserer Ethik, der Humanität und dem erklärten Patientenwillen gemäß gehandelt haben und dazu auch stehen.“

Trotz des Freispruchs und damit verbundenem – nur geringfügigem – Kostenersatz durch die Staatskasse bleibt Turowski auf einer hohen Geldsumme für seine Rechtsanwälte sitzen. Es war anlässlich der Spitzfindigkeiten der Staatsanwaltschaft erforderlich, einen in der Materie sehr kompetenten und zudem „gewieften“ Anwalt zu nehmen. Zudem wurde die Hinzuziehung eines zweiten erforderlich. Wegen der Befragung von zehn Zeugen und drei Gutachtern wurden neun Verhandlungstag anberaumt. Seine beiden Rechtsschutzversicherungen (eine persönliche und eine berufliche), in die Dr. Turowski Jahrzehnte eingezahlt hatten, lehnten eine Kostenbeteiligung ab, da er ja – nach eigenem Bekunden – aus Vorsatz gehandelt hatte. Er spricht von einer Kostenfalle, in die er zusammen mit seiner völlig unbeteiligten Frau geraten ist. Wegen fehlender rund 25.000 Euro wurde inzwischen ein bundesweiter Spendenaufruf  hvd-bundesverband/Spendenkonto gestartet.

Sollte die Staatsanwaltschaft ihre Ankündigung (nach Vorliegen des schriftlichen Urteils) wahrmachen und ihre Revision hinreichend begründen können, kämen erneut Kosten in ähnlicher Höhe auf das Rentnerehepaar Turowski zu.

Spannung im Gerichtssaal bis zuletzt – mögliche Revisionsgründe?

Dr. Turowski wurde noch nach der vorher bestehenden Rechtslage angeklagt, welche die sogenannte Suizidförderung durch Beratung und Beschaffung von suizidtauglichen Medikamenten noch gar nicht unter Strafe stellte. Die Staatsanwaltschaft legte ihm demzufolge nicht zur Last, dass er seiner Patientin die tödlichen Tabletten für den Suizid besorgt beziehungsweise verschrieben hatte. Sie konstruierte vielmehr den Vorwurf der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen von Rettungsmaßnahmen. Zu deren Verhinderung habe er zudem beigetragen, indem er auch die Mutter von Anja D. diesbezüglich im Telefongespräch angehalten habe.

Bemerkenswerterweise rückte die Staatsanwaltschaft diesen Vorwurf der Unterlassung von Rettungshilfe im Laufe des Verfahrens in den Hintergrund. Sie hatte inzwischen einen – ihr wohl vielversprechend erscheinenden – anderen Tatvorwurf ausgemacht. Dem Arzt wurde dann nicht mehr Tötung durch (passives) Unterlassen, sondern „aktive“ Sterbehilfe vorgeworfen, was auf einer Zeugenaussage der damals zuständigen Obduktionsärztin beruht.

Auf dieser Grundlage zeigte sich die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass der Arzt den schmalen Grat zwischen sogenannter passiver und aktiver Sterbehilfe überschritten habe. Vorgeworfen wurde ihm zuletzt, dass er Anja. D. während ihrer  58 Stunden dauernden  Bewusstlosigkeit MCP und/oder Buscopan gespritzt haben soll, um Ersticken durch Erbrechen, das sog. Todesrasseln oder Krampfanfälle zu vermeiden. Dr. Turowski erklärte hierzu stets, er habe die Mittel nicht gespritzt, sie aber der Frau, die selbst Arzthelferin gewesen ist, zur Verfügung gestellt.

Spannung im Gerichtssaal bis zuletzt, die darauf hinauszulaufen schien: Schuldig, wenn der Arzt die Spritze gegeben hat (wenngleich die Staatanwaltschaft am Ende keine Gefängnis-, sondern lediglich eine Geldstrafe forderte). Unschuldig, wenn er die Spritze nicht gegeben hat (und damit Freispruch). Dann die Überraschung: Diese Frage der Spritze sei irrelevant. In seiner Freispruch-Entscheidung geht das Gericht zwar davon aus, dass Dr. Turowski sie der Bewusstlosen gesetzt hat, wertet dies in diesem Fall aber sogar – zu seinen Gunsten – als palliative Maßnahme, die das Sterben erleichtert, aber nicht beschleunigt habe. Diese Bewertung dürfte auch bei anderen länger andauernden Suiziden, etwa durch sogenanntes Sterbefasten, eine erhebliche Bedeutung haben.

 Turowskis „letztes Wort“, das vor Gericht unterblieb

 Der Angeklagte hatte nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein letztes Wort vorbereitet, dies dann aber unterlassen. Er gibt einen Auszug daraus im  Interview/weil-ich-dem-erklaerten-patientenwillen-gemaess-gehandelt-habe wie folgt wieder:

 „Der im Vergleich zur Tat große Aufwand für die Justiz ist umso unverständlicher, da bekanntermaßen die Gerichte völlig überlastet sind. Im Berliner Tagesspiegel vom 2.1.18 wird die Situation in diesem Gericht, vor dem ich angeklagt war, so beschrieben: `Laut dem aktuellen statistischen Jahrbuch erheben die deutschen Staatsanwälte nur noch in 22 % aller Verfahren Anklage …´. Oberstaatsanwalt von Hagen, der die Anklageschrift gegen mich verfasst hat, wird in diesem lesenswerten Artikel auch erwähnt.

Zwischen dem Tod von Frau D. und dem heutigen Tag liegen fünf Jahre. Mit dem Fall waren bis jetzt sehr viele Menschen beruflich beschäftigt: Die Kripo am Todestag und in meiner Praxis, die Ermittlungsbehörden mit diversen langwierigen Vernehmungen, zwei Kammern dieses Gerichtes, die Staatsanwaltschaft, das Aufgebot von zehn Zeugen, drei gerichtsmedizinische Gutachten. Dadurch sind dem Staat enorme Kosten aufgebürdet worden für einen juristisch klaren Tatbestand, der nicht strafbar war. Daher empfinde ich diesen Prozess als skandalöse Geldverschwendung unserer Steuergelder! Und so denken sicherlich die meisten Bürger. Natürlich wird dafür niemand verantwortlich gemacht und zur Rechenschaft gezogen.“

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