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Spannende Anhörung im Rechtsausschuss zur Suizidhilfegesetzgebung 2023

22. Jan 2023

Ende November befasste sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit drei parlamentarischen Entwürfen, wie zukünftig die Hilfe zur Selbsttötung zu regeln sei, und mit einem Antrag zur Suizidprävention. Die Anhörung diente der Vorbereitung zu einer Gesetzgebung im neuen Jahr. Als Sachverständige geladene Strafrechtsprofessoren nahmen eine Bewertung zugunsten eines liberalen Entwurfs vor, bemängelten den zweiten und stellten den dritten „Verbotsentwurf“, der zurzeit die meisten Unterstützer_innen unter den Bundestagsabgeordneten hat, mit teils vernichtenden Argumenten als verfassungswidrig dar.  

 

Dem Rechtsausschuss lagen drei interfraktionell (jeweils ohne die AfD) erarbeitete Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe sowie ein Antrag zur Stärkung der Suizidprävention vor. Letzteren hatte jene von Lars Castellucci und Ansgar Heveling angeführte Abgeordnetengruppe eingebracht, die zugleich einen äußerst restriktiven Gesetzentwurf für einen neuen § 217 im Strafgesetzbuch (StGB) einführen will.  

Zur fünfstündigen öffentlichen Anhörung waren am 28. November 2022 dreizehn Sachverständige geladen (darunter weder explizierte Vertreter_innen der Kirchen noch von Sterbehilfevereinen). Ein beachtlicher Teil der Expert_innen vor allem aus dem Hospiz-, Palliativ- und Psychiatriebereich erneuerte den anwesenden Abgeordneten gegenüber die Warnung vor einer Normalisierung der Selbsttötung sowie die Forderung nach einer verbesserten Sterbebegleitung zum Schutz sogenannter vulnerabler Gruppen. Diese Argumente dienten der Unterstützung für den „christlich-lebensschützerischen“ Gesetzentwurf von Castellucci/Heveling u.a., die eine prinzipielle Strafbarkeit der Suizidhilfe für erforderlich halten. Die Zielrichtung ihrer umfassenden Gesetzesreform besteht darin, einzig suizidpräventive Maßnahmen zu fördern und die Hilfe zur Selbsttötung so weit wie verfassungsrechtlich möglich einzuschränken. 

Verbotsparagraf hat die meisten Unterstützer_innen im Bundestag

Dieser Gesetzentwurf für einen neuen § 217 im Strafgesetzbuch hat (zusammen mit dem Antrag zur Verhütung von Suiziden sozusagen im „Doppelpack“) zurzeit von den Bundestagsabgeordneten, die sich überhaupt schon zu ihrer Präferenz bekannt haben, laut Unterschriftenliste weitaus die meisten Unterstützer_innen (überwiegend von der Union, aber auch von den Grünen und der SPD, darunter fünf ihrer Minister_innen, etwa Claudia Roth und Hubertus Heil). 

Es handelt sich um eine Neufassung des Paragrafen, der in seiner ursprünglichen Fassung von 2015 bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 für null und nichtig erklärt worden ist.  Um ein erneutes „Kippen“ vermeintlich umgehen zu können, werden nunmehr im neuen Anlauf zum § 217 StGB Ausnahmebedingungen von der strafbaren Hilfe zur Selbsttötung eingeräumt, zum Beispiel eine regelhafte zweifache psychiatrische Begutachtung der Suizidwilligen innerhalb von drei Monaten, die allerdings kaum erfüllbar wären. 

Derzeit haben sich erst 254 Abgeordnete entschieden, jeweils einen der drei Gesetzesvorschläge zu unterstützen, davon präferiert ca. die Hälfte die Neuauflage des § 217 StGB. Für keinesfalls ausreichend zur Sicherung der Freiwillensfähigkeit von Suizident_innen halten diese Strafrechtsbefürworter_innen etwa die obligatorischen Regularien, psychosozialen Gespräche und ärztlichen Aufklärungspflichten, wie sie die beiden Alternativentwürfe vorsehen. 

Auf diese beiden verteilt sich etwa die andere Hälfte der 254 Abgeordnete. Es gibt zum einen den liberalen Entwurf von Katrin Helling-Plahr/Helge Lindh u.a. (gut 80 Unterstützer_innen aller Fraktionen außer der AfD, unterstützender Minister: Karl Lauterbach) und zum anderen den von Renate Künast/Nina Scheer u.a. (knapp  50 Unterstützer_innen mehrheitlich von den Grünen, zusätzlich von der SPD und marginal von den Linken). 

Humanistischer Verband zu Suizidhilfe, -prävention und -konfliktberatung

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) vertritt im Rahmen seiner sich im Aufbau befindlichen Suizid(konflikt)beratung ebenfalls das Anliegen, durch vertrauensbildende und Alternativen aufzeigende Gespräche Suizide zu minimieren, wenn diese nicht auf freiem Willensentschluss beruhen. Im Vorfeld der Anhörung kritisierte er jedoch die im Rechtsauschuss vorgenommene irreführende Verknüpfung von ganz unterschiedlichen Personengruppen, um am Ende eine neue Strafbarkeitsregelung durchzusetzen. Dem Humanistischen Verband geht es darum, erst einmal für alle Menschen Ansprechpartner zu sein, ob sie vielleicht nur vorübergehende suizidale Gedanken haben, unter bestehenden Umständen am liebsten tot sein möchten oder ernsthafte Suizidpläne unbedingt realisieren wollen. 

In seiner Pressemitteilung heißt es: „Der HVD favorisiert deshalb den Gesetzentwurf von Katrin Helling-Plahr (FDP), Helge Lindh (SPD), Petra Sitte (Linke) u.a., die auf jegliche Sanktionen konsequent verzichten. Sie schlagen vielmehr flächendeckend in Anspruch zu nehmende ergebnisoffene Beratungsangebote vor, in denen interdisziplinäre Teams Gespräche und klientenzentrierte Informationen anbieten.“ 

Sternstunde der Strafrechtsprofessoren

In der Anhörung gab es erheblichen Gegenwind zu einem neuen § 217 StGB, wobei die Gegner_innen unter den geladenen Expert_innen prinzipiell eine Regelung der Suizidhilfe im Strafrecht ablehnten. Vier der fünf geladenen juristischen Sachverständigen erläuterten, inwiefern der Entwurf von Castellucci/Heveling u.a. nicht nur verfassungswidrig, sondern auch rechtsdogmatisch verfehlt sei, nämlich Prof. Karsten Gaede, Dr. Gina Greeve, Prof. Christoph Knauer und Prof. Helmut Frister. In den strafrechtlichen Stellungnahmen der beiden letztgenannten, der von Prof. Frister und der von Prof. Knauer, wird eindeutig für den im Sinne des BVerfG-Urteils zu bevorzugenden Entwurf von Helling-Plahr (FDP) /Helge Lindh (SPD) u.a. plädiert. Die Argumente der beiden Sachverständigen entsprechen weitgehend denen des Humanistischen Verbandes, der diesen Entwurf ebenfalls unterstützt (s.o.). Frister, Mitglied im Deutschen Ethikrat, stellt zunächst klar, dass unabhängig vom BVerfG-Urteil wie eh und je nur die Hilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid straflos ist. Deshalb wäre – übrigens aus gegensätzlichen Sichtweisen – die Frage gestellt worden, ob die vom BVerfG ja nicht geforderte Neuregulierung der Suizidassistenz überhaupt notwendig und sinnvoll sei. Frister hält die Frage für berechtigt und kommt im Ergebnis dazu, sie klar zu bejahen: 

„Sowohl der Schutz vor nicht freiverantwortlichen Suizidentscheidungen als auch die Gewährleistung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ließe sich durch eine geeignete Regulierung der Suizidassistenz besser gewährleisten als im derzeit geltenden Recht“.  Dabei werde von Kritikern, die alle Regelungen etwa aufgrund von dort vorgesehenen Beratungspflichten pauschal als entmündigend oder gar verfassungswidrig ablehnen, oft ein Umstand übersehen: Nämlich der, dass das Bundesverfassungsgericht „sein weitreichendes Verständnis des Rechts auf Selbsttötung bei seinen Ausführungen zur Sicherung einer freiverantwortlichen Willensentscheidung praktisch ein wenig relativiert.“ 

So sei es – dem wegweisenden etwa 100 Seiten umfassenden Urteil vom 26.2.2020 gemäß – für den Gesetzgeber durchaus zulässig, Prüfungs-, Beratungs-, Aufklärungs- oder Wartepflichten vorzuschreiben. Frister ergänzt, dass laut BVerfG der Gesetzgeber auch eine beständige Zuverlässigkeit von Suizidhilfevereinen durch normierte Vorbehalte absichern dürfe. Allerdings müsse „jede regulatorische Einschränkung dem Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichenden Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen.“ Zur Prüfung der Freiwillensfähigkeit bedürfe es schlanker, einfach praktikabler, möglichst unbürokratischer und nicht zu zeitaufwändiger Verfahren, wie sie im „liberalen“ Gesetzentwurf von Helling-Plahr/ Lindh u.a. am besten gewährleistet seien. Dieser betone bei der Verschreibung suizidtauglicher Mittel die persönliche Verantwortung des Arztes und trage durch die Beteiligung wohnortnaher Beratungsstellen dem Vieraugenprinzip Rechnung.

Sachverständige Juristen plädieren für liberalen Gesetzentwurf 

Ebendies sieht Prof. Knauer ähnlich. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müsse bei der Suizidhilfe der Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von einer gewissen „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ getragen sein. Es wäre für verantwortungsvoll zur Selbsttötung Beratende und Helfende nun einmal unerlässlich, dabei auch gewisse „Einblicke in die Intim- und Privatsphäre, den Gesundheitszustand und die soziale Vernetzung der suizidwilligen Person“ zu erhalten. Die im Entwurf von Helling-Plahr/Lindh u.a. vorgeschlagene Schaffung einer bundesweiten Beratungsinfrastruktur würde die Autonomie suizidwilliger Personen und dabei auch das hohe Rechtsgut des Lebens schützen, „ohne den Suizidanten in eine Rechtfertigungslage zu bringen“, so Knauer. Denn auch eine obligatorische Beratung durch staatlich anerkannte Stellen soll ja einzelfallbezogen lediglich dazu dienen, auf einer hinreichenden Informationsgrundlage ein realitätsgerechtes Für und Wider selbstbestimmt abwägen zu können.

Knauer bewertet die zweite Alternative zu einer § 217 StGB-Regelung, nämlich den mehrheitlich „grünen“ Entwurf von Künast/Scheer u.a. hingegen als ungeeignet. Zwar sei daran das Ziel zu begrüßen, die Entscheidung des BVerfG umzusetzen. Dieses hätte „jedoch, anders als es der Entwurf ohne Begründung behauptet“, keinesfalls als zulässig erachtet, zwischen körperlich Schwerstkranken und allen anderen Suizidwilligen zu unterscheiden und in letzterem Fall bedeutend höhere Anforderungen etwa an den Zugang zu Natrium-Pentobarbital aufzustellen: „Das BVerfG hat vielmehr mehrfach hervorgehoben, dass die Beweggründe keinerlei Bewertung etwa `anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit´ zugänglich sind.“ 

Regulierungen dürften jedenfalls nicht danach differenziert werden, ob sich eine dem Sterben nahe Person in einer „mit schweren Leiden, insbesondere starken Schmerzen“ verbundenen „gegenwärtigen medizinischen Notlage“ befindet (so die Formulierung in § 3 Abs. 1 des Entwurfs von Künast/Scheer u.a.). Erst recht sollten alle Suizidwilligen ohne eine solche Notlage nicht nach bürokratischen Beantragungs- und Bewilligungsverfahren dann einer behördlichen Entscheidung bedürfen (so ebenda in § 4). Zudem, gibt Knauer zu bedenken, „beinhaltet der Entwurf eine eigene Strafnorm, die falsche Angaben bei der Beantragung des Zugangs zu Betäubungsmitteln unter Strafe stellt sowie verschiedene Ordnungswidrigkeiten.“

Frister räumt ein, eine Differenzierung mit der Verfassung sei insofern vereinbar, als nach dem Urteil des BVerfG „je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens“ gestellt werden dürfen. Er schlägt vor – vielleicht läge darin ein möglicher Kompromiss – im Entwurf von Helling-Plahr/ Lindt u.a. eine Ausnahmeregelung einzuführen „für schwer kranke, sich in palliativer Behandlung befindende Personen. Hier sollte man überlegen, die vorgesehene Pflichtberatung durch eine staatlich anerkannte Beratungsstelle ausnahmsweise durch die Beurteilung eines unabhängigen zweiten Arztes zu ersetzen.“

Ein Beitrag von Gita Neumann

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