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Untaugliche Patientenverfügungen – und welche wirksam sind

12. Sep 2018

Gita Neumann, Dipl.-Psych.
Redakteurin des Newsletters Patientenverfügung gita.neumann@humanismus.de

In Medien wird seit Langem darüber berichtet: Etwa neun von zehn Patientenverfügungen sind in späteren Fällen nicht hinreichend wirksam. Genutzt hat alles bisher nichts. Neuerdings wird wieder Präzisionsbedarf angemahnt.

Übersicht über Weckrufe zur Überprüfung

Die medizinische Hochschule Hannover gibt im August 2018 bekannt, in einer Studie Patientenverfügungen überprüfen zu lassen, die Menschen mit der neurodegenerativen Erkrankung Parkinson betreffen.

Die Bundesärztekammer veröffentlicht im Mai 2018 neue Empfehlungen zu vorsorglichen Willenserklärungen bei Demenzerkankung.

Bereits 2016 ging der aufsehenerregende Weckruf durch Presse und Fernsehen, nur etwa zehn Prozent der bestehenden Vorsorgepapiere wären im Konfliktfall wohl verbindlich. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof die Patientenverfügung einer gehirngeschädigten Pflegeheimbewohnerin aus Bayern für unwirksam erklärt, weil deren Inhalt zu ungenau war (Az XII ZB 61/16).

Doch nicht nur Formulare – sei es von Kirchen bis hin zu kommerziellen Internetanbietern –sind betroffen, sondern in Teilen auch die immerzu empfohlene Mustervorlage aus dem Bundesjustizministeriums (BMJ, heute BMJV). Davon hatte der Spiegel schon 2010 anhand eines dramatischen Praxisbeispiels unter dem Titel „Er konnte einen Hauch zuviel – das war sein Fluch“ berichtet.

Geschichte des Friedrich B.

Erzählt wird im Spiegel die Geschichte des Rentners Friedrich B. Der ehemalige Polizeibeamte war mit Anfang achtzig noch sehr aktiv und nahm alles sehr genau. Er hatte sich mit juristischer Hilfe eine angeblich „wasserdichte“ Patientenverfügung nach der Vorlage aus dem Bundesjustizministerium abfassen lassen.

Darin waren Situationen aufgeführt, in denen Herr B. auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten wollte, etwa auf künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr oder Beatmung, Dialyse und Antibiotika. Genau so sehen es die Textbausteine in der Broschüre des Bundesjustizministeriums vor. Sie wurden vermutlich millionenfach von allen möglichen Anbietern übernommen, von alteingesessenen Rechtsanwälten und Notaren bis hin zu Start-Up-Firmen. Dabei sind die darin enthaltenen Situationsbeschreibungen seit der BMJ-Ursprungsfassung von 2003/2004 unverändert geblieben. Sie stammen also aus einer Zeit vor 2009, das heißt, bevor die Reichweitenbeschränkung gesetzlich aufgehoben wurde. Seitdem können Gehirnschädigungen aller Ausprägungen (nicht nur komaähnliche Stadien) mit abgedeckt werden.

Fatale Formulierungen der BMJ-Vorlage

Auch eine “Gehirnschädigung zum Beispiel durch Unfall” war als mögliches Szenario im Dokument gemäß BMJ-Vorlage von Herrn B. aufgelistet. Nicht erst im Sterben oder „ewig dauernden“ Koma sollten die aufgelisteten lebensverlängernden Maßnahmen unterlassen werden, sondern „… wenn meine Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach Einschätzung zweier erfahrener Ärztinnen oder Ärzte […] aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen ist …“. Verständlicherweise fühlte sich der Herr B. damit völlig abgesichert. Doch er hatte sich auf die Situationsbeschreibung in den Textbausteinen leider zu Unrecht verlassen.

Der inzwischen 88-Jährige war nach einer schweren Gehirnblutung (Schlaganfall) halbseitig gelähmt. In der Pfälzer Klinik saß seine Ehefrau Rosa viele Tage stundenlang am Bett des früher so stattlichen Gatten, sprach mit ihm – doch Reaktionen blieben so gut wie aus. Auch der Sohn Thomas hegte schließlich keinen Zweifel mehr daran: Sein Vater befand sich genau in der Situation, für die er verbindlich verfügt hatte, friedlich sterben zu wollen. Doch für die Klinikärzte waren seine „Entwicklungspotentiale für eine vielleicht mögliche Besserung noch nicht ausgeschöpft“, wie es dann oft heißt. Zwar stand schon fest, dass das Pflegebett die „Endstation“ des alten Mannes sein würde. Aber die – ja auch laut Patientenverfügung – erforderliche Diagnose, dass alle Fähigkeiten zur Kommunikation und Kontaktaufnahme „unwiederbringlich erloschen“ sein müssten, konnte oder wollte kein Arzt stellen – erst recht nicht zwei. Denn wenn sie den Patienten deutlich vernehmbar mit seinem Namen ansprachen, ihn zwickten oder lautstark Besuch ankündigten, öffnete Herr B. daraufhin die Augen, sah sie an und zeigte damit ein Reaktionsvermögen. Genau dieses „Zuviel“ wurde Herrn B. und seiner in Mitleidenschaft geratenen Familie zum Verhängnis, sein Sohn Thomas sagte: zum Fluch.

Die Familie berichtete, dass die Grundversorgung in der Klinik durchaus gut war. Der 88-Jährige wurde regelmäßig gewendet und gewindelt, zunächst über die Nase künstlich ernährt, dann mit Erlaubnis der bevollmächtigten Ehefrau über eine PEG-Sonde. Man legte einen Katheter, die Ehefrau stimmte einem Luftröhrenschnitt zu, da ihr Mann andernfalls zu ersticken drohte. Nach einiger Zeit suchte die Familie nach einem Hospizplatz, den es aber für Schwerstpflegebedürftige, die künstlich ernährt noch lange weiterleben könnten, grundsätzlich nicht gibt. Auch anderswo wollte ihn niemand „zu Tode pflegen“. Herr B. starb einige Monate nach seiner Krankenhausentlassung zu Hause. Es war schließlich ein Arzt gefunden worden, der nur noch hochwirksame Morphiumpflaster verordnete.

Man hätte es – zumindest in Fachkreisen – schon längst wissen können. Doch wer beachtet bei dem unangenehmen Thema schon den Satz der Mustervorlage des Bundesjustizministeriums am Ende dieses Absatzes zu Gehirnschädigungen? Der lautet: „Es ist mir bewusst, dass […] ein Aufwachen aus diesem Zustand nicht ganz sicher auszuschließen, aber äußerst unwahrscheinlich ist.“ Obwohl ein „Aufwachen“ in diesem Zusammenhang ja nur aus einem komaähnlichen Tiefschlaf möglich ist, nimmt man doch gern an, dass es mit den renommierten BMJ-Mustertexten schon seine Richtigkeit hat.

Gehirnschädigung – auch Palliativmedizin wird verweigert

So ist die Berichterstattung des Spiegel 2010 ohne Folgen geblieben. Auch die positiven Auswirkungen einer sogenannten Optimalen Patientenverfuegung (PV) sind überschaubar, da diese nicht in großem Ausmaß verbreitet ist. Dabei gab es dieses Grundmodell einer PV ohne Reichweitenbeschränkung schon lange vor der Normierung ihrer Verbindlichkeit durch das Patientenverfügungsgesetz. Die Optimale Patientenverfügung ist seit ihrer Einführung vor 25 Jahren strikt an Patientenautonomie und Humanem Sterben einschließlich Abwägungen bei Demenz und Hirnschädigungen orientiert und im Laufe der Zeit mehrfach praxisbezogen überarbeitet worden.

Ähnliche Fälle wie der von Friedrich B. sind an der Tagesordnung. Bei einer kürzlichen Fortbildungsveranstaltung im Hospizbereich wurde vom vortragenden Arzt Dr. Klähn folgendes aktuelles Fallbeispiel einer Gehirnschädigung angeführt:

Ein 89-jähriger Patient erlitt nach einer Operation, in die er selbst wegen starker Beschwerden eingewilligt hatte, durch Komplikationen zunächst ein postnarkotisches Koma mit anschließender weitgehender Eintrübung des Bewusstseins. Er erkennt seine Töchter kaum noch, gibt sinnentleerte sprachliche Äußerungen von sich. Es liegt eine Patientenverfügung nach den Textbausteinen des Bundesjustizministeriums mit derselben Zustandsbeschreibung wie bei Herrn B. vor. Für diesen Zustand soll dann nur noch palliative Begleitung und Schmerztherapie unter der Maßgabe erfolgen, eine Lebensverkürzung in Kauf zu nehmen und ein Sterben zuzulassen. Der beschriebene Zustand liegt nach ärztlichem Ermessen aber noch nicht vor, da der Patient seine Töchter ansieht, auf sie reagiert und – wenngleich höchst eingeschränkt – mit ihnen kommuniziert.

Er leidet offensichtlich unter dem Absaugen von Sekret und signalisiert deutlich Schmerzempfinden. Chefärztlich wird die in der Patientenverfügung gewünschte hinreichende Schmerzmedikation und das Sedieren verweigert, die mit einer Lebensverkürzung hätten einhergehen können. Der Patient wird schließlich im schlechten Zustand mit Dekubitus in ein Pflegeheim entlassen. Der weitere Verlauf, wie er schließlich dort verstarb, ist unbekannt.

 

 

 

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